Frage an Hans-Christian Ströbele von Horst M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Ströbele,
ich habe Ihnen bisher zwei Fragen gestellt.
Mit der Antwort auf meine Frage vom 20.8. bin ich sehr einverstanden. Allerdings denke ich nicht, daß "dieser Rechtsstaat..zum Verzweifeln" ist, sondern, daß wir kein Rechtsstaat sind.
Daher bin ich auch mit Ihrer Antwort auf meine Frage vom 27.6. nicht einverstanden.
Mein Anliegen ist, daß wir immer weiter von rechtsstaatlichen Positionen wegrücken. Daher ja auch meine Frage zum Bundesverfassungsgericht.
Ständige Rechtssprechung des BVerfG ist es, daß es von den Fachgerichten fordert, daß diese auf die tragenden Argumente der Parteien im Rechtsstaat eingehen - ansonsten stellt das BVerfG einen Verstoß gegen das "Recht auf rechtliches Gehör" fest. Klar berechtigt.
Von 1.000 Klagen, die beim BVerG eingereicht werden, werden 10 entschieden und nur eine davon positiv.
990 Klagen, also 99%, werden mit Verweis auf das BVerfGG abgelehnt. Ohne auf die tragenden Argumente einzugehen.
Damit verstößt das BVerfG in 99% der Fälle gegen das Grundgesetz und ist damit wohl der größte Rechtsbrecher in Deutschland oder gar Europa.
Gut, ich will mit dieser Aussage provozieren.
Denn es ist Sache der Politiker, hier eine Besserung herbeizuführen.
Wie Sie selbst am 13.7. einräumten, werden von den Fachgerichten viele Fehler gemacht, da diese (angeblich) überfordert seien.
Nur wenn diese Fehler vom Verfassungsgericht gerügt werden - als letzte Instanz in Deutschland - kann es zu eine Besserung bei deutschen Gerichten kommen.
Bis dahin gilt:
Recht haben und Recht bekommen sind zweierlei.
Erkennen Sie das Problem und sorgen Sie für Abhilfe - z., B. durch weitere Verfassungsrichter? Ist Ihnen klar, daß dieses Unrecht enorme volkswirtschaftliche Kosten verursacht und zur Abkehr von uns Bürgern von diesem Staat führt?
Mit freundlichem Gruß
Horst Murken
Sehr geehrter Herr Murken.
Ich verstehe, daß die kommentarlose Ablehnung von Verfassungsbeschwerden häufig zu großem Frust bei den Beschwerdeführern führt. Aber ich bin nicht der Meinung, daß die Erhöhung der Richterzahl das richtige Mittel zur Lösung dieses Problems wäre. Auch ich habe mich schon geärgert, wenn ich mit einer von mir als Rechtsanwalt verfaßten, lang und sorgfältig begründeten Verfassungsbeschwerde gescheitert bin und auf meine wohlerwogenen Gründe in der Entscheidung mit keinem Wort eingegangen wurde. Um alle Ablehnungen von Verfassungsbeschwerden mit einer längeren Begründung zu versehen, die auf alle wesentlichen Argumente der Beschwerdeführer eingeht, wären aber hunderte von Richter erforderlich, die alle ausreichend qualifiziert und vom Deutschen Bundestag gewählt sein müßten, auch erfolgversprechende Fälle verantwortlich zu entscheiden. Sonst gäbe es Verfassungsrichter unterschiedlicher Qualität und Legitimation.
Das Bundesverfassungsgericht soll nach dem Grundgesetz keine Superinstanz für alle Rechtsstreitigkeiten sein, sondern über Verstöße gegen Grund- oder andere Rechte mit Verfassungsrang zu entscheiden. Das will ich nicht ändern. Deshalb kann das Verfassungsgericht auch nicht all die vielen Ungerechtigkeiten korrigieren, die in den Fachgerichtszweigen vorkommen.
Sie übersehen auch, daß viele Verfassungsbeschwerden mit hundert und mehr Seiten dicken Schriftsätzen begründet werden, die im Einzelnen gar nicht alle behandelt werden können.
Aber ich nehme Ihr Schreiben zum Anlaß, in den Haushaltsberatungen und gegenüber dem Verfassungsgericht anzuregen, den Richtern erheblich mehr wissenschaftliche Mitarbeiter zur Verfügung zu stellen, die wenigstens dafür sorgen könnten, daß die wesentliche Begründung für eine ablehnende Entscheidung benannt wird.
Mit freundlichem Gruß
Ströbele