Frage an Hans-Christian Ströbele von Andreas B. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Ströbele,
Ihre Bedenken und Ihre Beunruhigung wegen der Tornadoeinsätze in Afghanistan teile ich in keinster Weise.
Die Bereitstellung von Tornado-Aufklärungsflugzeugen durch die Bundeswehr ist als militärischer Beitrag zu der von den USA geforderten NATO-Großoffensive gegen die Neo-Taliban zu dürftig. Ferner ist ihr Einsatz das falsche Mittel, eine umfassende politische Stabilisierung Afghanistans - wie auf dem Nato-Gipfel in Riga Ende November 2006 angemahnt - zu erreichen. Angesichts der absehbaren Eskalation in Südafghanistan sollte Deutschland andere EU-Partner gewinnen, um gemeinsam auf eine grundlegende Überprüfung der Strategie und eine Aufwertung der UN-Mission in Afghanistan zu drängen. Deutschland sollte zudem sein Gewicht im Norden und Südosten Afghanistans zugunsten von Stabilisierungsinitiativen einsetzen. “Berlin will keine Opfer” (wer will die schon) - deshalb hat man “Igelstellung” bezogen. Wie lange will man diese Position halten? Ziehen sich die Dänen, Niederländer, Kanadier, Briten und Amerikaner auch für unbestimmte Zeit in ihre Stützpunkte zurück, nach dem sie Opfer in Kämpfen mit den Taliban zu beklagen hatten? Gilt die “hearts and minds”-Strategie nur bei Sonnenschein? Im Januar 2007 flog, hauptsächlich die U.S.-Luftwaffe, aber auch die britische RAF; Dänen fliegen die F-16 von Kandahar):
- 870 Luft-Boden-Einsätze (durchschnittlich 28/Tag);
- 248 Aufklärungs-/Überwachungs-Flüge (durchschnittlich 8/Tag)
Glauben Sie, die Luft-Boden Einsätze werden aus Langeweile betrieben? Man hat in Afghanistan zu wenig Bodentruppen (!), deshalb ist man auf Luftunterstützung angewiesen. Deutschland schickt keine Bodentruppen und auch keine Luft-Boden Untersützung, kritisiert aber wenn Unschuldige getötet werden. Bei allem Respekt, so geht es ja nicht. Sich aus allem heraushalten, aber die Verbündeten kritisieren, die täglich ihr Leben aus Spiel setzen! Auch wenn Sie diesem Krieg kritisch beurteilen, bleiben Sie bitte bei ihrer Kritik sachlich.
Sehr geehrter Herr Baumann.
Ihre Schlußfolgerung teile ich nicht.
Es ist grundfalsch, eine offensivere Kriegsbeteiligung der Bundeswehr auf das Desaster in Afghanistan zu fordern. Die Sicherheitslage im ganzen Land ist in den letzten Jahren immer schlechter geworden, obwohl mehr und mehr Soldaten und Waffen dorthin geschickt wurden.
Im Süden und Osten herrscht Krieg. Die Aufbauhelfer trauen sich kaum noch raus aus den Stützpunkten. Auch im Norden gab es in den letzten Monaten Situationen, in denen den deutschen Entwicklungshelfern empfohlen werden mußte, in den Stützpunkten zu bleiben oder Urlaub zu nehmen, weil die Sicherheit nicht mehr garantiert werden kann.
Und das Schlimmste ist, nach den Berichten fast aller Beobachter werden die Alliierten Truppen, immer mehr auch die Bundeswehrsoldaten, als Besatzung angesehen und behandelt und zwar auch im Norden.
Und Sie setzen auf noch mehr Soldaten, noch mehr Kriegseinsätze. Mit diesem Rezept ist die Sowjetarmee schon gescheitert nach zehn Jahren Krieg mit zuletzt mehreren hunderttausend Soldaten einer modernen ausgerüsteten Armee.
Die us-geführte Einsatzstrategie ist gescheitert. Sechs Jahre nach Beginn des Krieges hat sich soviel verändert, daß auch die UN-Mandate den Krieg nicht mehr decken können.
Die Gewaltanwendung des OEF-Einsatz war nach der UN-Resolution darauf beschränkt, "to bring to justice", also der Gerichtsbarkeit zuzuführen die Verantwortlichen für die Anschläge vom 11.9. 2001 in den USA, nicht etwa einen Regimewechsel zu erreichen oder die Taliban zu vernichten. Und der ISAF-Einsatz sollte allein der Absicherung des zivilen Wiederaufbaus gelten.
Von beiden Einschränkungen kann heute keine Rede mehr sein. Heute ist Krieg zumindest im Osten und Süden. Der Krieg wird geführt mit dem Ziel der Vernichtung nicht etwa nur von El Quaida, denn die spielen kaum noch eine Rolle, sondern vor allem der Taliban. Die Einheiten von OEF und ISAF führen diesen Krieg gemeinsam ohne Unterschied. Die Einsätze beider befehligt ein und derselbe Offizier. Im Osten und Süden wollen nur noch die Deutschen einen Unterschied sehen zwischen dem Einsatz von OEF-Soldaten und denen unter ISAF-Mandat. Die Einsätze der Tornado-Flugzeuge der Bundeswehr sind auch Teil des Krieges im Süden und Osten.
Mittelfristig ist die Frage nicht mehr, ob sich die Einsicht durchsetzt, daß die offensive Kriegsstrategie nach Art der USA und ihrer Sondereinheiten falsch war und die alliierten Soldaten abziehen, sondern wann dies geschieht
Mit freundlichem Gruß
Ströbele