Frage an Hans-Christian Ströbele von Ulrike M. bezüglich Recht
Lieber Herr Ströbele!
Ich beobachte bereits seit Jahren, dass Sie allen Nachrichtendiensten und Sicherheitsbehördern äußerst kritisch gegenüber stehen. Sie wissen, dass dies bereits eine sehr vorsichtige Formulierung darstellt. Sie müssen aber doch auch die neuen und alten Bedrohungen (zB. intern. Terrorismus od. die organisierte Kriminalität) erkennen und den Sicherheitsbehörden die notwendigen Mittel in die Hand geben, um diesen Gefahren wirksam entgegentreten zu können. Geht denn das Recht aller Bürger auf Schutz vor Verbrechen nicht immer vor dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung potentieller Täter? Ich lasse mich lieber an einem Bahnhof auf ein Videoband speichern, als später durch eine Bombe ums Leben zu kommen. Selbst wenn die Aufzeichnung nur der Aufklärung dienen kann, werden möglicherweise Folgeanschläge verhindert. Wie stehen Sie im Einzelnen dazu?
Sehr geehrter Herr Matzik.
Ihre Beobachtung trifft zu. Nur will ich den Sicherheitsbehörden nicht die "notwendigen Mittel" verweigern. Die Frage ist, was notwendige und effektive Mittel sind und ob dieses Argument nicht immer wieder mißbraucht wird, um ganz andere Ziele durchzusetzen und Allmachtsphantasien von Sicherheitsorganen zu bedienen.
So war es gerade erst mit dem Ottokatalog 3, also mit dem Terrorsmusbekämpfungsergänzungsgesetz.
Unter Rot/Grün waren die Befugnisse der Geheimdienste ausgeweitet worden etwa auf die Kompetenz zur Überprüfung von Kontenbewegungen einzelner Bürgerinnen und Bürger bei Kreditinstituten oder Flugdaten bei Luftfahrunternehmen. Dies sollte für den Kampf gegen den internationalen islamistischen Terrorismus unerlässlich sein und es wurden heilige Eide geschworen, daß diese Befugnisse selbstverständlich nur für den Aufgabenbereich Terrorismusbekämpfung gelten sollen. Die gesetzliche Regelung war befristet. Jetzt wurde nicht nur die Befristung verlängert, sondern diese gesetzliche Regelung ganz nebenbei auch noch auf andere Aufgabenbereiche der Geheimdienste ausgedehnt, nämlich auf den Bereich rechter wie linker extremistischer Bestrebungen. Also kaum war die Tür im Namen des Kampfes gegen den Terrorismus aufgestoßen, wird der Zugang auch für andere Zwecke genutzt. So wird es auch sein, mit den Daten der Mautgebührenerhebung oder auch der Videoüberwachung.
Letzte ist nicht geeignet zu Verhinderung von Anschlägen. Übrigens sind die Kofferattentatsverdächtigen nicht gefaßt worden wegen der Videoüberwachung, sondern weil sie in den Koffern Adressen und Telephonnummern hinterlassen hatten. Aber zur Verfolgung von Verdächtigen nach der Begehung von Anschlägen und damit einer Verhinderung von Folgeanschlägen werden Videoaufzeichnungen aus anderen Gründen bald nicht mehr viel beitragen können. Die Täter werden ausweichen, wie dies bereits bei videoüberwachten Plätzen zu beobachten war, auf Bahnhöfe oder Zugänge zu den Eisenbahnen, wo keine Videoüberwachung stattfindet oder durch entsprechende Kleidung oder in anderer Weise Vorsorge treffen, daß Sie auf Videoaufzeichungen nicht zu erkennen sind. Die Videoaufzeichnungen von Millionen Bürgerinnen und Bürger aber werden bleiben und die Begehrlichkeit nicht nur von Geheimdiensten wird unwiderstehlich groß werden, diese Daten auch vielfältig zu nutzen.
In der Anti-Volkszählungsbewegung der achziger Jahre haben wir gelernt, nur nicht erhobene und nicht gespeicherte Daten sind sichere Daten, also Daten, die vor Mißbrauch wirklich und dauerhalt geschützt sind.