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Hans-Christian Ströbele
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Thomas M. •

Frage an Hans-Christian Ströbele von Thomas M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Lieber Christian,

vielen Dank für Deine Antwort ( http://www.abgeordnetenwatch.de/frage-778-78513--f415493.html#q415493 ). Du schreibst: "Volksentscheide zur einzigen Grundlage politischer Entscheidungsbildung zu machen halte ich nicht für richtig."

Welche Sachfragen gäbe es denn, welche die Betroffenen (und sei es manchmal auch nur eine kleine Minderheit, die sich bei einem bestimmten komplexen Thema auskennnt, öffentlich darüber diskutieren und dann abstimmen würde, während sich Viele - vorerst - enthielten) nicht besser entscheiden könnten als irgendwelche "Repräsentanten" (im Moment z.B. im Bundestag ca. 0,001% der Wahlberechtigten, die vor allem Fachleute dafür sind, (wieder)gewählt zu werden, und ansonsten von Lobbyisten aus Wirtschaft und Interessenverbänden "beraten" werden)?

Und würde eine breite Mehrheit, die feststellt, dass sie sich an einem Punkt geirrt hat, ihre Entscheidung nicht viel schneller revidieren können als ein "Repräsentant", der einen Fehler schon aus psychologischen Gründen kaum zugeben mag?

Über eine Antwort mit ein paar Beispielen würde ich mich sehr freuen.

Herzliche und solidarische Grüße

Thomas Movtchaniouk

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Movtchaniouk.

Auch Sie mußten zu lange auf eine Antwort warten. Aber heute haben wir das Beispiel eines schönen Ergebnisses eines weiteren Volksentscheides in Berlin. Es gibt viele komplizierte Gesetzeswerke oft mit vielen hundert Seiten, die offenbar sein müssen, um einigermaßen gerechte Ergebnisse bei der Anwendung zu erreichen, deren Einzelheiten und Auswirkungen nur schwer zu verstehen und nachzuvollziehen sind. Dazu gehören die jedes Jahr zu beschließenden Haushalte, die Steuergesetze, die Gesundheits- und Rentengesetze, die Strafprozeßgesetze, die Patentgesetze und neu vor allem die europäischen Verordnungen. Diese öffentlich zu diskutieren ist schon kaum möglich. Auch Abgeordnete können im günstigen Fall damit nur zur echt kommen, wenn sie sich zum Teil über Jahre damit befassen und unterstützt durch die dauernde Beratung von Mitarbeitern und von Fachleuten. Auch sie müssen sich die Fachgebiete aufteilen und auf die Bewertung und das Urteil der Fachkollegen häufig verlassen. Und die Lobbyverbände können durchaus eine positive Funktion haben. Oder haben Sie auch etwas gegen die Beteiligung von Interessenverbände wie Gewerkschaften, Umwelt-, Mieter-, Verbraucher-, Sozial-,Behinderten-, Kultur-,Musik-,Menschenrechts-, Turn- und Sportvereine sowie Entwicklungshilfeorganisationen. Selbst wenn die Anzahl der Gesetze und Rechtsregeln erheblich eingedampft wird, bleibt so viel, daß die Bevölkerung das ganze Jahr über voll damit beschäftigt wäre, sich zu informieren, zu diskutieren und zur Abstimmung zu gehen. Dazu wäre sie wohl kaum willens und auch nicht in der Lage. Wer will das auch sein Leben lang. Ich lade Sie ein, mal für zwei Sitzungswochen sich im Bundestag anzusehen, mit welchen Bergen von Gesetzen wir uns rumschlagen müssen

Ja, ich bin sehr dafür, viele auch zentrale Fragen der Gesellschaft durch Volksentscheide zu regeln. Und an Ihrem Argument der leichteren Korrektur von Entscheidungen ist durchaus etwas dran. Eine realistische und vernünftige Aufteilung der Aufgaben von Parlaments- und Volksentscheidungen scheint mir der richtige Weg.

Mit freundlichem Gruß
Ströbele