Frage an Hans-Christian Ströbele von Julian K. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Ströbele,
zunächst einmal vielen Dank, dass Sie sich für dieses Forum derart viel Zeit nehmen.
Ich las vor einigen Wochen in der Presse Ihre Einschätzung bzgl. einer Änderung des § 169 GVG, mit der klargestellt werden könnte, dass Videoübertragungen in einen Nebenraum eines Gerichtssaals zulässig sind, was ja bisher angesichts des unklaren Wortlauts der Vorschrift noch umstritten ist.
Sie haben vor einer solchen gesetzlichen Klarstellung gewarnt und äußerten, wohl mit den RAF-Prozessen im Hinterkopf: "Mit schnell beschlossenen Gesetzen zur Vorbereitung besonderer Gerichtsprozesse gibt es ungute Erfahrungen".
https://www.tagblatt.de/Home/nachrichten/ueberregional/politik_artikel,-NSU-Prozess-Gesetzesaenderung-koennte-Konflikt-loesen-_arid,209717.html
Mich würde interessieren, a) wie Sie zu dieser Einschätzung kommen und b) ob Sie auch unabhängig vom NSU-Prozess eine derartige Änderung ablehnen würden, also in dem Fall, in dem es eine längere Beratungs - und Vorlaufzeit für den Gesetzgeber gäbe. Wäre es der Gewinn an Rechtssicherheit nicht wert?
Besten Dank im Voraus.
Mit freundlichen Grüßen!
Julian Köster-Eiserfunke
Sehr geehrte Frau Köster-Eiserfunke.
Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts sind nach § 169 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz in der Verhandlung vor dem erkennenden Gericht unzulässig. In anderen Ländern wie den USA gibt es die Möglichkeit der Übertragung im TV. Ob eine solche auch in Deutschland zugelassen werden sollte, wurde bisher verneint nicht nur, weil die Gefahr eines Schauprozesses besteht, sondern auch weil die Wahrheitsfindung darunter leiden könnte, daß die Aussagen von Zeugen und anderen mehr als ohnehin unvermeidbar beeinflußt werden. Ich halte diese Gründe grundsätzlich für zutreffend.
Bei einer Änderung der Vorschrift nur dahingehend, daß die Übertragung der Gerichtsverhandlung in andere Räume des Gerichts zugelassen wird, wären solche Befürchtungen geringer. Ich halte diese Änderung grundsätzlich für möglich und richtig.
Allerdings wären damit nicht alle Probleme des Publikumsantrages zum NSU-Prozeß gelöst, denn einen ausreichend großen weiteren angemessenen Saal für die Teilnahme von 300 weiteren Journalisten und anderen wichtigen Prozeßbeobachtern im Gerichtsgebäude in München zu finden, dürfte auch nicht einfach sein.
Jedenfalls müßte gleichzeitig gesetzlich geregelt werden, wie die Übertragung erfolgt, durch das Gericht mit einer fest installierten Kamera und einem Mikrophon oder durch Kamerateams, die auch die Reaktionen und Äußerungen der Angeklagten und der übrigen Prozeßbeteiligten und des Publikums aufnehmen und übertragen. Die Wahrnehmung "sitzungspolizeilicher" Aufgaben auch in dem anderen Raum müßte sichergestellt werden. Dazu gehört nicht nur, daß die Aufnahmen nicht doch weiter übertragen werden, sondern auch, daß Störungen unterbleiben und Aussagen nicht an noch nicht vernommene und draußen wartende Zeugen weitergegen werden. Aufgabe des Vorsitzenden bleibt es, die Persönlichkeitsrechte der Angeklagten und Zeugen zu schützen.
Ein Gesetzgebungsverfahren für eine angemessene Regelung dauert. Die Erfahrung aus anderen Großverfahren zeigt, bis die Regelung erfolgt ist und praktiziert werden kann. könnte der Andrang zum NSU-Prozeß schon so weit zurückgegangen sein, daß der jetzige Gerichtssaal ausreicht.
Mit freundlichem Gruß
Ströbele