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Hans-Christian Ströbele
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Raimund G. •

Frage an Hans-Christian Ströbele von Raimund G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Ströbele,

mit großem Interesse habe ich den Artikel http://gutjahr.biz/2013/02/lobbyplag/ von Richard Gutjahr gelesen. Die darin dargestellten Sachverhalte über den parlamentarischen Alltag sind sehr aufschlussreich. Diese Erkenntnisse verfestigen meine Angst vor und den Ärger über zunehmenden Gewerbe-/Industrie-Lobbyismus, welcher dazu führt, dass weitgehend nur noch die Interessen von Unternehmen und Gewerbe-/Industrieverbänden Gehör im Gesetzgebungsverfahren finden.

Ich denke, dass viele von „uns aus dem Volk“ die aktuelle Situation mit Besorgnis verfolgen und sich mittlerweile wünschen, dass neben den etablierten Parteien eine starke (alternative) Struktur der Interessensvertretung der Bürgerschaft auftritt, um Gesetze zum Schutz und zum Wohl der Bürger zu etablieren. Dies würde dem sozialen Frieden in unserem Land und unserem Kontinent zugute kommen. Ich bin gespannt, welche Kräfte hierbei aus der zunehmenden Vernetzung durch das Internet erwachsen...
Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie hier ein paar grundsätzliche Gedanken zum Thema Lobbyismus preisgeben würden.
Welche Konsequenzen hat die Erkenntnis, dass („weite“) Teile der Bevölkerung sich durch die etablierte Politik nicht mehr ausreichend vertreten fühlt? Sollten Volksvertreter deutlicher und öffentlichkeitswirksamer darlegen (und belegen!), welche Meinung sie zu einzelnen Sachthemen vertreten, auf welchen Quellen ihre Meinungsfindung basiert und warum dies den Bürgern nützt?
Welche Möglichkeiten hat die Bürgerschaft, um neben den mächtigen Gewerbe- und Industrieverbänden genügend Gehör im Rahmen der Gesetzgebung zu finden (nicht nur periodisch vor/nach Legislaturperioden)?
Strukturen zur effektiven Information und Beteiligung der Bevölkerung ließen sich im WWW sicherlich etablieren. Erste erfreuliche Schritte, wie „Lobbyplag“, sind bereits zu erkennen.

Es grüßt Sie freundlich
und gespannt auf eine Antwort
Raimund Gunzelmann

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Gunzelmann.

Den Artikel von Herrn Gutjahr kenne ich nicht.

Aber ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit der Bekämpfung von Korruption und unrechtmäßigem Lobbyismus auch, was diese im Bundestag betrifft.
So habe ich an dem Gesetzentwurf der Grünen zur Neuregelung der Abgeordnetenbestechung mitgearbeitet, der leider von den Koalitionsfraktionen abgelehnt wurde. Außerdem habe ich ein Gesetz für ein bundesweites Korruptionsregister erarbeitet, das von der grünen Fraktion in den Bundestag eingebracht wurde und zu dem morgen im Wirtschaftsausschuß des Bundestages eine öffentliche Anhörung von Sachverständigen aus dem DGB, dem Unternehmerverband und von Transparency International stattfindet.
Rund um Parlament und Regierung tummeln sich Tausende Interessenvertreter, die versuchen, ihr Anliegen bei Abgeordneten und Ministerien vorzubringen und zu fördern. Es sind nicht nur Industrievertreter und Lobbyisten von Wirtschaftsverbänden, sondern auch Vertreter des Deutsche Gewerkschaftsbund, von Umweltverbänden, dem Bauerverband oder von Verbraucherverbänden. Ihr Einfluß ist nur so groß, wie Parlamentarier und Regierung sich darauf einlassen. Zuweilen geht dieser zu weit, wenn etwa Interessenvertreter direkt ihren Interessenverband betreffende Gesetzesentwürfe im Ministerium erarbeiten.
Jede Möglichkeit, daß wir Volksvertreter deutlicher und öffentlichkeitswirksamer darlegen und belegen, welche Meinung zu einzelnen Sachthemen vertreten werden, auf welchen Quellen unsere Meinungsfindung basiert und warum dies den Bürgern nützt, sollte genutzt werden. Ich versuche dies auch durch immer mehr Nutzung der neuen Medien und Kommunikationsmöglichkeiten zu praktizieren. Besonders wichtig ist vor allem die rückhaltlose öffentliche Information durch die Regierung. Diese klage ich immer wieder ein, auch beim Bundesverfassungsgericht, wie etwa zu den geplanten Panzerlieferung nach Saudi-Arabien. Ohne ausreichende Information ist keine vernünftige Mitentscheidung möglich.
Gegen Politikverdrossenheit und für mehr demokratische Beteiligung helfen aber nur mehr Möglichkeiten für Volksinitiativen und Volksentscheide. Auch dafür habe ich mich immer wieder eingesetzt und an Gesetzesentwürfen mitgearbeitet. Aber besonders hoffnungsvoll stimmt mich, daß Bürgerinnen und Bürger immer mehr ihre Interessen in die eigenen Hände nehmen und in Bürgerinitiativen oder zur Bürgerprotesten auf die Straße gehen.

Mit freundlichem Gruß
Ströbele