Frage an Hans-Christian Ströbele von Christof B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Hallo Herr Ströbele,
heute habe ich Ihren Artikel im "The European" mit dem Titel "Bürgerbeteiligung ist für alle da" gelesen. Mir ist dabei ein Gedanke gekommen, zu dem ich gerne Ihre Meinung lesen würde.
Als direkt gewählter Abgeordneter sind Sie ja in einer vergleichsweise unabhängigen Position.
Ich gehe davon aus, dass Sie bei Ihrer Stimmenabgabe weitgehend unabhängig von Fraktionszwang/-disziplin sein können und stets nach bestem Wissen und Gewissen handeln. – Ihr Mandat also ideal frei ausüben können.
Was halten Sie davon, wenn Sie Ihr zukünftiges Abstimmungsverhalten zunehmend von Mehrheitsposition Ihrer Wähler abhängig machen? – Sie sich also frei entscheiden, Ihr freies Mandat von Fall zu Fall als imperatives Mandat auszuüben.
Vielleicht finden Sie eine Möglichkeit, wie Sie das mit Hilfe des Internets oder auch bei Veranstaltungen in Ihrem Wahlkreis umsetzen können!?
2009 wurden Sie von ca. 74.000 Wählern Ihres Wahlkreises mit deren Erststimme in den Bundestag gewählt.
Wie hoch schätzen Sie davon den Anteil derer ein, die sich aktiver und direkter am politischen Entscheidungsprozess beteiligen wollen? – Einen Trend dahin scheinen Sie ja ebenfalls zu sehen.
Könnten Sie sich vorstellen, den Prozess in Ihrem Wahlkreis anzustoßen; oder läuft das bei Ihnen bereits so? – Ich konnte auf Ihrer Homepage leider keine Termine für den Rest des Jahres finden, deswegen kann ich mir auch leider kein ausreichendes Bild von Ihrer Wahlkreisarbeit machen.
Sie hätten jedenfalls aufgrund Ihrer relativen Unabhängigkeit die Chance, durch die Ausübung eines freiwillig imperativen Mandats, mehr Bürgerbeteiligung zu ermöglichen.
Gerne auch zunächst für eine Testphase und auf bestimmte Themen begrenzt.
Ihre Meinung dazu interessiert mich sehr.
Sehr geehrter Herr Binder.
Danke für die Anregung.
Sie haben ja Recht. Vergleichsweise kann ich unabhängiger mein Abstimmungsverhalten im Deutschen Bundestag selbst bestimmen als andere Abgeordnete.
Eine feste Bindung an das Votum der Mehrheit der Wählerinnen und Wähler in meinem Wahlkreisb wäre mit dem Grundgesetz sicher nicht zu vereinbaren.
Einmal bestimmt Artikel 38 Absatz 1 satz 2 GG, daß die Abgeordneten Vertreter des ganzen Volkes sind, also nicht nur der Bevölkerung eines bestimmten Wahlkreises, und zum anderen sind sie an Aufträge und Weisungen nicht gebunden, also auch nicht die der Wählerinnen und Wähler, die sie wählen oder gewählt haben.
Eine Verpflichtung, sich an das Votum einer Gruppe aus der Bevölkerung fest zu binden, wäre also nicht verfassungskonform.
Aber selbstverständlich wäre es möglich und zulässig, dem Votum der Mehrheit im Wahlkreis bei der Abwägung eine besondere Bedeutung zu geben.
Ich bin nicht ausreichend technisch fachkundig, um zu beurteilen, wie dieses Votum im Wahlkreis jeweils oder zumindest bei wichtigen Entscheidungen abgefragt werden könnte und ob dies ohne Manipulationsgefahr möglich ist.
Dem steht auch entgegen, daß vermutlich immer noch keineswegs die notwenige Anzahl der Wählerinnen und Wähler über einen Internetanschluß verfügt.
Außerdem weiß ich nicht, ob genügend Leute überhaupt Interesse daran hätten mitzumachen. Die Zweifel rühren auch daher, daß nur ein ganz kleiner Prozentsatz der Wahlbevölkerung bisher vor oder nach Abstimmungen im Bundestag sich bei mir meldet, um Zustimmung oder Kritik zu äußern.
Zwar erhalte ich häufig viele Rückmeldungen, aber im Vergleich zur Wähler- und Wählerinnenzahl sind es doch nur wenige - ein paar Hundert vielleicht von 74 000, die mir ihre Erststimme gegeben haben, oder insgesamt mehr 200 000 Wählerinnen und Wählern.
Ich kann meist auch gar nicht feststellen, wieviele der paar hundert Rückmeldungen aus meinem Wahlkreis kommen und wieviele sonstwoher, weil fast nie eine Wohnanschrift angeben wird.
Also muß erst noch einiges entwickelt werden. Dazu gehört vor allem, eine möglichst ausführliche Vorinformation der Wahlbevölkerung und Gelegenheit zum Austausch von Agumenten, also eine intensive Diskussion. Aber mich interessiert schon sehr, wie die Wählerinnen und Wähler selbst entscheiden würden.
Mit freundlichem Gruß
Ströbele