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Hans-Christian Ströbele
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Frage von Ralf U. •

Frage an Hans-Christian Ströbele von Ralf U. bezüglich Finanzen

hallo christian!

wenn ich das mit dem esm einigermaßen richtig verstanden habe, läuft das ganze wohl auf eine europäische diktatur hinaus, oder?
kann der fond tatsächlich nach gutdünken aufgestockt werden?
haben die einzelnen staaten tatsächlich keinerlei möglichkeit auf dem klageweg einzuschreiten?
genießen die sog. "gouverneure" tatsächlich volle immunität bei ihren "geschäftl." tätigkeiten?
da die brd ja wohl ihre finanzpol. und wirtschaftliche hoheit bereits abgegeben hat: was bleibt hier eigentlich noch?

wie kann eine partei wie die grünen da zustimmen???

es ist ja eigentlich zu begrüßen, wenn parteien darauf hinarbeiten, überflüssig (i.s. von nicht mehr notwendig, da ein entsprechendes bewusstsein die bevölkerung "erreicht" hat) zu sein, aber zu gunsten einer diktatur ist damit wohl kaum gemeint!

und sage bitte nicht, dass sei überspitzt, denn wir erleben ständig, dass alle, die mit finanzen zu tun haben, gewährte freiheiten stets zu missbrauchen verstehen!

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Lieber Ralf Uppendahl.

Nein, das mit dem ESM haben Sie nicht richtig verstanden. Auf eine europäische Diktatur laufen ESM und Fiskalpakt nun wirklich nicht hinaus. Der Fonds kann auch nicht "nach Gutdünken" aufgestockt werden und die Staaten haben viele Möglichkeiten dagegen vorzugehen. Wer anderes behauptet, scheint den Vertrag und die dazu vom Bundestag beschlossenen Gesetze nicht gelesen zu haben. Eine Aufstockung des Stammkapitals und auch jede größere Hilfsmaßnahme aus dem Kapital des ESM ist an mehrere Voraussetzungen gebunden und bedarf vor allem der Zustimmung einer großen Mehrheit des Gouverneursrates ( bei Hilfsmaßnahmen müssen es 85 % der Anteile sein). Der deutsche Gouverneur in diesem Rat hält Anteile und damit Stimmrecht von fast 28 %. Er hat also faktisch ein Vetorecht und kann jede Hilfsmaßnahme verhindern. Der Gouverneur muß nach dem Vertrag Mitglied der Bundesregierung sein und deie Bundesregierung darf im Gouverneursrat nur zustimmen, wenn vorher der Bundestag zugestimmt hat. Das deutsche Parlament hat also ein wirksames Kontrollrecht.
Warum muß es auch gleich eine Diktatur drohen. Es gibt genug berechtigte schwerwiegende Kritik an diesen Verträgen.

Deshalb habe ich nicht zugestimmt, sondern mit NEIN zu beiden Vertragswerken.
Ich habe dazu diese persönliche Erklärung abgegeben:
"ESM und Fiskalpakt sind die falschen Mittel. Mit ihnen ist die europäischen Finanz- und Bankenkrise nicht zu bewältigen. Sie sind die Fortsetzung der rigiden Sparpolitik, vielleicht sogar ihr Höhepunkt. Aber dieses Sanierungsrezept ist gescheitert. Die Krise wurde nicht bewältigt, sondern verschärft. Alle Befürchtungen, denen mit der Einrichtung neuer Rettungsschirme und immer größerer Milliardenhilfen entgegengewirkt werden sollte, haben sich bewahrheitet. Immer mehr und größere Staaten geraten in den Strudel der Krise und drohen darin unterzugehen. Der bisherige Weg war der falsche. Der gnadenlose Sparkurs führt wie in Griechenland zur Verarmung großer Teile der Bevölkerung und schadet der Entwicklung der Wirtschaft und der Erholung der Staatsfinanzen. Er ändert nichts daran, dass Finanzmärkte und Ratingagenturen weiter die Richtlinien der Politik bestimmen. Kredite und Garantien des ESM an die Staaten, die die Krise nicht mehr bewältigen können, dienen ganz überwiegend nur der Bedienung der Geldinstitute und der Sicherung ihrer Gewinne. Von europäischen Insolvenzregelungen, auch für zu große Banken, ist keine Rede mehr.
Diese gescheiterte Politik darf nicht fortgesetzt und nicht durch Fiskalpakt und ESM unwiderruflich festgeklopft werden.

ESM und Fiskalpakt sind nur schwer mit dem Grundgesetz zu vereinbaren.
Beide Verträge sind vielfach miteinander verzahnt. So ist ab 2013 der ESM nur noch anwendbar für Länder, die den Fiskalpakt auch ratifiziert haben.
Die Regelungen beider Vertragswerke sind in Teilen unklar und unbestimmt. Das Verhältnis zu EU-Einrichtungen bleibt offen.

ESM und Fiskalpakt schränken die Souveränität der Vertragsstaaten und die konstitutiven Entscheidungsrechte ihrer Parlamente über den Haushalt, also über Steuern und Abgaben, substantiell und auf Dauer unwiderruflich ein.

Im ESM und im Gesetz zum ESM-Vertrag ist die parlamentarische Beteiligung und Kontrolle von Entscheidungen über Erhöhungen des Stammkapitals und Stabilitätshilfen durch den Bundestag nicht lückenlos gesichert.
Gouverneursrat und Direktorium sind bei allen Beschlüssen beschlussfähig, wenn zwei Drittel der Stimmberechtigten anwesend sind. Auch wenn der deutsche Vertreter abwesend ist, können sie also weittragende Beschlüsse fassen. Dass Deutschland über 27,1 Prozent der Stimmanteile verfügt, hilft dann wenig."
Den vollständigen Text finden Sie auf meiner homepage

Mit freundlichem Gruß
Ströbele