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Hans-Christian Ströbele
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Klaus S. •

Frage an Hans-Christian Ströbele von Klaus S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Ströbele,

die Abstimmung über den ESM-Vertrag sowie des Fiskalpakts steht auf der Agenda noch vor der Sommerpause. Wir bitten Sie im Interesse der Zukunft Europas und dem Bestand der Demokratie in diesem, unserem Land, Ihre Zustimmung zu verweigern.

Mit diesen Gesetzentwürfen wird gegen die No-Bailout-Klausel des Lissaboner-Vertrags von 2009 verstossen. Außerdem ist die Einsetzung eines Gremiums des ESM mit seinen so weitreichenden Befugnissen nicht demokratisch legitimiert und unterliegt auch nicht der parlamentarischen Kontrolle.

Die Organisation des ESM entzieht sich selbst und deren Funktionäre durch eine weitgefasste Immunität der Verantwortung und jeglicher juristischer und strafrechtlicher Verfolgung. Mit seinen weitreichenden Entscheidungs- und Handlungsfreiheiten greift der ESM direkt in die staatliche Souveränität Deutschlands ein, beschränkt die Rechte des Parlaments entgegen der jüngsten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Mit dem Fiskalpakt, dem zweiten Pfeiler der geplanten Maßnahmen, erhalten zudem EU-Institutionen weitgehende Kontrollmöglichkeiten auf die Haushalte der souveränen Mitgliedsstaaten, ohne dass deren Parlamente oder auch das EU-Parlament darauf Einfluss nehmen könnten.

Die sogenannte Budgethoheit des Parlaments (Legislative) – die oft als die ureigenste Macht demokratisch gewählter Volksvertreter bezeichnet wird – würde so an Institutionen der Regierungsgewalt (Exekutive) abgetreten.

Sehr geehrter Herr Ströbele,

für mich und meine Familie ist es wichtig zu wissen, wie Sie in der bevorstehenden Abstimmung votieren werden. Für uns ist wichtig zu wissen, wem wir bei zukünftigen Wahlen vertrauen können und wer die Interessen unseres Landes im Sinne der Erhaltung der Demokratie vertritt.

Deshalb bitten wir Sie um Ihre Stellungnahme und eine klar formulierte Aussage, wie Sie sich in der Abstimmung zu ESM & Fiskalpakt verhalten werden.

Vielen Dank!

Mit freundlichen Grüßen

Klaus Strietzel

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Strietzel.

ESM und Fiskalpakt beschäftigen mich seit Monaten. Ich wollte zunächst möglichst viel darüber wissen, bevor ich entscheide.
Inzwischen weiß ich viel und werde aller Voraussicht nicht zustimmen, wenn die Verträgen nicht entscheidend verändert werden.
Meine Beurteilung habe ich in einem Text aufgeschrieben, den Sie auf meine homepage finden. Die Immunitätsregelung ist kein Grund für eine Ablehnung. Solche Regelungen gelten für viele internationalen Institutionen in der EU und im diplomatischen Dienst. Sie besagt keineswegs, daß die Mitglieder stets straflos bleiben. Die Regelung gilt nur für Handlungen in Erfüllung ihrer Aufgaben.

Meine Gründe zusammengefaßt sind:
Mit einer Verabschiedung von ESM und Fiskalpakt wird zur Bewältigung der Finanzkrise der gnadenlose Sparkurs fortgesetzt. Aber dieses Sanierungsrezept ist gescheitert. Bevor es unwiderruflich festgeklopft ist, muss umgesteuert werden. ESM und Fiskalpakt sind die Fortsetzung der rigiden Sparpolitik für Europa, vielleicht sogar ihr Höhepunkt. In Griechenland scheint diese Politik nicht mehr durchsetzbar. Die Bevölkerung unterwirft sich nicht mehr dem inhumanen Sparen. ESM und Fiskalpakt sind nur schwer mit dem Grundgesetz zu vereinbaren. Sie schränken die Souveränität der Vertragsstaaten und die Entscheidungsrechte ihrer Parlamente über den Haushalt, substantiell und auf Dauer unwiderruflich ein. Im ESM ist die parlamentarische Beteiligung nicht lückenlos gesichert. Gouverneursrat und Direktorium sind beschlussfähig, wenn zwei Drittel der Stimmberechtigten anwesend sind, also auch ohne den deutschen Vertreter. Die Verpflichtungen, welche die Mitglieder des ESM eingehen, sind nicht ausreichend bestimmt. Die Regelungen über den Haftungsumfang sind unvollständig. Und offen bleibt die Haftung für Defizitsünder und wer eigentlich haftet, wenn ein oder mehrere Vertragspartner Beiträge nicht zahlen wollen oder nicht können. Auch der Fiskalpakt beschränkt die Haushaltsrechte der Vertragsstaaten und ihrer Parlamente.
Vor allem sind ESM und Fiskalpakt politisch nicht verantwortbar. Sie sind nicht zweckmäßig für die Bewältigung der Krise. Sie setzen weiter nur auf Sparen. Damit werden die ökonomischen Probleme verschärft und vor allem große Teile der Bevölkerung in Armut und Elend geführt.
Durch ein JA zu verfassungsrechtlich zweifelhaften, unabänderlicher und unsozialer Sparpolitik werden wir nicht zu besseren Europäern.

Mit freundlichem Gruß
Ströbele