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Hans-Christian Ströbele
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Frage von Jan H. •

Frage an Hans-Christian Ströbele von Jan H. bezüglich Familie

Sehr geehrter Herr Ströbele,

sind Ihre Worte über eine Legalisierung bei Sex zwischen Bruder und Schwester, wie in der Bild geschrieben richtig ?

Mit freundlichen Grüßen

J. Hildebrandt

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Hildebrandt.

Das Wortlautzitat gibt weitgehend wieder, was ich gesagt habe, bezog sich aber darauf, daß die Strafbarkeit entfallen sollte.

Mit meiner Auffassung bin in guter Gesellschaft.
Der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Hassemer, und fast die Hälfte der Länder Europas halten es für richtig, daß solche Beziehungen unter erwachsenen Geschwistern nicht unter Strafe gestellt Strafe werden.
Nach Schätzungen haben etwa 2 bis 4 % der Bevölkerung in Deutschland Inzest-Erfahrungen.
Es kommt zu etwa 10 Verurteilungen im Jahr.

Ich halte die Legitimation und Rechtfertigung der Strafdrohung wegen Beischlafs unter Verwandten für nicht mehr zeitgemäß, mit einer geläuterten modernen Auffassung von Sexualität und Familie nicht vereinbar und verfassungsrechtlich äußerst zweifelhaft.
Man mag aus moralischen oder religiösen Gründen solche Beziehungen ablehnen, aber nicht mit hohen Freiheitstrafen staatlich verfolgen. Kriminalstrafen sind hier fehl am Platze.

Deshalb wurden Kriminalstrafen wegen solcher Beziehungen im Zeichen der Aufklärung in Frankreich gleich nach der Revolution vor 200 Jahren abgeschafft. Und deshalb gibt es in vielen anderen zivilisierten Staaten Europas wie Spanien, Holland und Rußland solche Straftatbestände nicht mehr.

Der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung vor Mißbrauch durch sexuelle Handlungen von Kindern, Jugendlichen, Schutzbefohlenen, Kranken, Anvertrauten und Abhängigen sowie vor Gewalt ist durch andere Vorschriften des Strafgesetzbuches ausreichend gewährleistet und mit Freiheitsstrafen bis zu 10 Jahren bedroht. § 173 Strafgesetzbuch wird für diesen Schutz nicht gebraucht. Er ist dafür auch weitgehend untauglich, denn nach dieser Vorschrift ist nur der Vollzug des Beischlafs mit Strafe bedroht. Alle anderen sexuellen Handlungen und Betätigungen zwischen Geschwistern und anderen nahen Verwandten sind gar nicht betroffen und wären auch nach dieser Vorschrift straflos.

Auch das Risiko gesundheitlicher Schäden von Kindern, die aus einer solchen Beziehung hervorgehen können, kann die Strafbarkeit nicht rechtfertigen. In vielen anderen Fällen besteht ein solches Risiko ebenfalls etwa bei Erbkrankheiten der Beziehungspartner, bei Alkohol-, Dogen- oder Nikotinabhängigkeit der Mütter. Gleichwohl kommt niemand auf den Gedanken, den Beischlaf solcher Personen mit Kriminalstrafen zu ahnden. Das heißt nicht, daß das gefährdete Beziehungspaar nicht verantwortlich mit der Frage umgehen sollte, ob es zu einer Schwangerschaft kommen kann, aber das strafrechtliche Verbot gehört da nicht hin. So wird in der Rechtslehre betont, daß es kein strafrechtlich zu schützendes Interesse eines Kindes geben kann, wegen eines Risikos der Schädigung nicht geboren zu werden.
Nach der Abschaffung der staatlichen Bestrafung von Ehebruch und Homosexualität sollte auch dieses Tabu beseitigt werden. Auch für den Ehebruch und Homosexualität zwischen Männern gibt es Verbote in der Bibel, für Ehebruch sogar in den zehn Geboten, aber trotzdem wurde die Strafbarkeit aus dem deutschen Strafgesetzbuch gestrichen.
Zu Recht, wie auch das weitere Tabu fallen sollte.

Mit freundlichem Gruß
Ströbele