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Hans-Christian Ströbele
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Frage von Frank W. •

Frage an Hans-Christian Ströbele von Frank W. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Ströbele,

sie lehnen das Urteil des EUGH zum Thema Inzest ab. Bitte teilen sie mir ihre Begründung mit.

MfG
Frank Wallney

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Wallney.

Der EUGH bleibt mit seiner Entscheidung auf halbem Wege stehen. Das Gericht bestätigt zwar, daß die Verurteilung der Geschwisterbeziehung ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens ( also in das Persönlichkeitsrecht) ist und daß in fast der Hälfte der Länder Europas solche Beziehungen unter erwachsenen Geschwistern nicht unter Strafe gestellt sind, hebt das Urteil aber unter anderem deshalb nicht auf, weil der Fall eine Frage moralischer Maßstäbe betraf, in der Staaten einen weiten Beurteilungsspielraum haben.
Ich halte die Legitimation und Berechtigung der Strafdrohung wegen Beischlafs zwischen Verwandten für nicht mehr zeitgemäß, mit einer geläuterten modernen Auffassung von Sexualität und Familie nicht vereinbar und verfassungsrechtlich äußerst zweifelhaft.
Man mag aus moralischen oder religiösen Gründen solche Beziehungen ablehnen, aber nicht mit hohen Freiheitsstrafen staatlich verfolgen. Kriminalstrafen sind hier fehl am Platze.

Deshalb wurden Kriminalstrafen wegen solcher Beziehungen im Zeichen der Aufklärung in Frankreich gleich nach der Revolution vor 200 Jahren abgeschafft. Und deshalb gibt es in anderen vielen zivilisierten Staaten Europas solche Straftatbestände nicht mehr.

Der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung vor Mißbrauch durch sexuelle Handlungen von Kindern, Jugendlichen, Schutzbefohlenen, Kranken, Anvertrauten und Abhängigen und vor Gewalt ist durch andere Vorschriften des Strafgesetzbuches ausreichend gewährleistet und mit Freiheitsstrafen bis zu 10 Jahren bedroht. § 173 Strafgesetzbuch wird für diesen Schutz nicht gebraucht. Er ist dafür auch weitgehend untauglich, den nach dieser Vorschrift kann nur der Vollzug des Beischlafs bestraft werden. Alle anderen sexuellen Handlungen und Betätigungen zwischen Geschwistern und anderen nahen Verwandten sind gar nicht betroffen und wären nach dieser Vorschrift ohnehin straflos.

Auch das Risiko gesundheitlicher Schäden von Kindern, die aus einer solchen Beziehung hervorgehen können, kann die Strafbarkeit nicht rechtfertigen. In vielen anderen Fällen besteht ein solches Risiko ebenfalls etwa bei Erbkrankheiten der Beziehungspartner, bei Alkohol-, Dogen- oder Nikotinabhängigkeit der Mütter. Gleichwohl kommt niemand auf den Gedanken, den Beischlaf solcher Personen mit Kriminalstrafen zu ahnden. Das heißt nicht, daß das gefährdetes Beziehungspaar nicht verantwortlich mit der Frage umgehen sollte, ob es zu einer Schwangerschaft kommen kann, aber das strafrechtliche Verbot gehört da nicht hin. So wird in der Rechtslehre betont, daß es kein strafrechtlich zu schützendes Interesse eines Kindes geben kann, wegen eines Risikos der Schädigung nicht geboren zu werden.
Nach der Abschaffung der staatlichen Bestrafung von Ehebruch und Homosexualität sollte auch dieses Tabu beseitigt werden. Auch für den Ehebruch und Homosexualität zwischen Männern gibt es Verbote in der Bibel und für Ehebruch sogar in den zehn Geboten, aber trotzdem wurde die Strafbarkeit aus dem deutschen Strafgesetzbuch gestrichen. Zu Recht, wie auch das weitere Tabu fallen sollte.

Mit freundlichem Gruß
Ströbele