Frage an Hans-Christian Ströbele von Wilfried M. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Abgeordneter,
ich möchte noch einmal auf die Drittgeheimniskontroverse zurückkommen, zu der Sie sich hier 2010 einmal geäußert hatten (1).
Nach unseren Beobachtungen taucht das Problem in der Praxis häufig auf, zum Beispiel in psychologischen Sachverständigengutachten (was z.B. Dipl. Psychol. Prof. KLENNER in FamRZ 1989, 804 ff - Wortlaut unter Link 2 - beschrieb) sowie in "Berichten" von Soz.Päds in Sorgerechtsverfahren, auch in Anwaltschreiben.
Inzwischen hat sich Ihre Parlamentskollegin Zypries im November 2011 hier (2) nun doch eher dahingehend geäußert,daß das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung bei derart sensiblen Geheimnissen Vorrang haben soll.
Vor diesem Hintergrund befremdet mich Ihre Antwort immer noch, denn meines Wissens kennt das deutsche Recht auch nicht mehr die Unterscheidung von drei Geheimsphären. Alles falle unter das Datengeheimnis und es leuchtet mir nicht ein, warum der Bürger hinnehmen soll, daß Vertreter der Vertrauensberufe ihn betreffende Daten (womöglich auch unrichtige, Gerüchte) ohne seine Zustimmung (also hinter seinem Rücken) irgendwohin geben kann, z.B. gegen Geld in einem Attest, Gutachten.
Würden Sie denn wollen, daß ich ohne Ihr Einverständnis etwas über irgendwelche Ihrer - angeblichen - Eigenheiten weitersage, von denen mir ein Patient erzählt, dem Sie vor Jahren Vertrauen schenkten?
Warum denken Sie offenbar nicht von der Seite des Grundrechtes auf informationelle Selbstbestimmung her?
Wem nützte es, wenn man die Drittgeheimnisse tatsächlich ohne Vorliegen eines rechtfertigenden Notstandes ungestraft weitergeben dürfte und was hindert Sie als Jurist/MdB an einer Präzisierung des Gesetzestextes?
Mit frdl. Gruß
W. Meißner
Dt. Institut für Totalitarismusabwehr
1) http://www.abgeordnetenwatch.de/hans_christian_stroebele-575-37994--f267341.html#q267341
2) http://www.pappa.com/recht/gutach/klenn_89.html
3) http://www.abgeordnetenwatch.de/brigitte_zypries-575-38064--f315705.html#q315705
Sehr geehrter Herr Meißner.
Es ist nicht zu bestreiten, daß Drittgeheimnisse schützenswert sein können.
Aber wie ich Ihnen bereits geschrieben hatte, kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an. So wird in der Regel auch in dem von ihm genannten Beispiel das, was ein Patient dem Arzt über das erzählt, was Dritte ihm anvertraut haben, unter die Verschwiegenheitspflicht des Arztes fallen. Nicht ist es mit dem, was einem Rechtsanwalt von dem Mandaten anvertraut wird.
Auch kommt es darauf an, ob überhaupt ein schützenswertes Geheimnis eines Dritten vorliegt oder ob eine wirksame Einwilligung für die Offenbarung erteilt wurde.
Außerdem ist der tatsächliche oder mutmaßliche Wille des Dritten zu berücksichtigen.
Gerade im Zusammenhang mit der Diskussion über den Umgang mit ganz Privatem, das nicht nur Jugendliche zuweilen dem Internet anvertrauen, wird neu diskutiert werden müssen, wie Menschenwürde und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung in Zukunft auch in solchen Fällen zu gewährleistet werden können. Dieses Problem tritt ja nicht nur dann auf, wenn Informationen aus dem Kernbereich der privaten Lebensführung in Kindheit oder Jugend freiwillig ins Netz gestellt werden, aber viele Jahrzehnte später gegen den erklärten oder offensichtlichen Willen des Betroffenen mißbraucht werden, um ihm zu schaden.
Mit freundlichem Gruß
Ströbele