Frage an Hans-Christian Ströbele von Farid F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Ströbele,
halten Sie etwa den Inhalt der Rede vom Papst für falsch?
Oder sind Sie nur deswegen vorzeitig gegangen, weil Sie ihn im Vorfeld für bestimmte Dinge verurteilen? Ich meine Ihre Ansicht vom 15.09.2011: ("Allerdings halte ich schon jetzt nicht für richtig, daß diesem Papst die Ehre gegeben wird, vor der Volksvertretung zu sprechen. Besondere politische Verdienste sehe ich bei ihm nicht. Ganz im Gegenteil. Er spricht gegen Familienplanung, gegen die Nutzung von Kondomen und Homosexuelle, er befürwortet Teufelsaustreibung und das reaktionäre Opus Die. Er ist gegen die "Kirche der Befreiung", die in Lateinamerika für die Armen und sozial Schwachen kämpft, und behindert deren Arbeit. Er hat abgelehnt, sich für die Mitschuld der katholischen Kirche an den Verbrechen an Millionen der Ureinwohner Süd- und Mittelamerikas und die Mißbrauchsverbrechen katholischer Priester in Irland und Deutschland zu entschuldigen. Die Liste ist lang. Warum soll ich eine solche Politik besonders ehren!")
Mich würde interessieren, wie Sie zu den Einzelheiten Seiner heutigen Rede stehen...
Ich würde mich über Ihre Antwort freuen und wünsche Ihnen einen schönen Tag und Gottes Segen!
Farid Fazel
Sehr geehrter Herr Fazel.
In der Rede des Heiligen Vaters, soweit ich sie inzwischen zur Kenntnis erhalten habe, finde ich nichts wesentlich Falsches. Seine Würdigung der Umweltbewegung ist sogar erfreulich.
Aber er geht auf all die Kritikpunkte, die ja nicht nur von mir, sondern von vielen anderen und auch innerhalb der katholischen Kirche geäußert werden, überhaupt nicht ein. Keine Korrektur der falschen Sexuallehre mit all den verhängnisvollen Auswirkungen, keine Selbstkritik.
Meine Gründe für das Verlassen des Sitzungssaals gestern zu Beginn der Rede habe ich heute nochmal zusammengefaßt:
Selbstverständlich habe ich den Plenarsaal während der Rede des Heiligen Vaters nicht verlassen wegen dessen Kleidung. Das habe ich auch nie der Presse gesagt. Ich habe mein Verhalten von der Gesamtsituation abhängig gemacht. So habe ich es auch immer gesagt.
Die Situation aber war verrückt. Da wurde der Heilige Vater fast vom ganzen Haus minutenlang beklatscht und gefeiert - auch von denen, denen die katholische Kirche und er als ihr Oberhaupt vorwirft, daß sie in Sünde legen, weil sie sich haben scheiden lassen und wieder geheiratet haben wie etwa der Bundespräsident und wohl auch die Kanzlerin oder weil sie in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft leben wie der Außenminister, der Regierende Bürgermeister, parlamentarische Geschäftsführer und nicht wenige Abgeordnete.
Da wollte ich nicht mitmachen.
Es ging doch nicht darum, daß der Heilige Vater eine Parlamentsrede hält. Die Rede, die er gehalten hat, hätte er auch in einer Uni oder sonst wo halten können. Es ging darum, diesen Heiligen Vater im Parlament besonders zu ehren durch den Auftritt im Deutschen Bundestag und Ovationen der Vertreter der deutschen Bevölkerung.
Das lehnte ich ab. Nicht nur weil ich die Trennung von Kirche und Staat für eine Errungenschaft halte, die nicht in Frage gestellt werden sollte.
Ich wollte bei der Ehrung dieses Heiligen Vaters nicht dabei sein. Ich kann und will nicht darüber hinwegsehen, daß er Familienplanung ablehnt und damit zu unverantwortlichem Anwachsen der Bevölkerung etwa in Afrika beiträgt, daß er gegen die Nutzung von Kondomen ist und damit Menschen der Übertragung von Aids und anderen Krankheiten aussetzt, daß er Exorzismus und Teufelsaustreibung befürwortet und damit meist Frauen großes Leid antun läßt, und daß er kirchliche Holocaustleugner in der katholischen rehabilitiert hat.
Vor allem kritisiere ich an diesem Heiligen Vater, daß er zwar gern über die Hilfe für die Armen auf der Welt predigt, aber die Theologie der Befreiung in Lateinamerika geschwächt und bekämpft hat. Er ist Bischöfen und Priestern der Kirche, die sich konkret vor Ort für die Armen eingesetzt haben häufig unter Einsatz ihres Lebens, in den Rücken gefallen und sie hat absetzen und versetzen lassen.
Und er hat bei seinem Besuch in Lateinamerika sich nicht etwa für Völkermord und Verbrechen begangen im Namen und unter Mitwirkung der katholischen Kirche an der indigenen Bevölkerung bei der Eroberung des Kontinents entschuldigt - wie viele gehofft hatten - sondern er hat die ungeheuerliche Behauptung aufgestellt, die indigene Bevölkerung dieses Kontinents habe den katholischen Glauben freudig herbeigesehnt.
Nein, diesem Heiligen Vater wollte ich keine besondere Ehre erweisen.
Auch zu Beginn der Reden des russischen Präsidenten Putin und des US-Präsidenten im Deutschen Bundestag bin ich aus politischen Gründen rausgegangen. Auch sie hatten solche Ehrung wirklich nicht verdient.
Ich möchte, daß der Deutsche Bundestag nur solchen Persönlichkeiten besondere Ehren bezeugt, deren persönlicher Einsatz und Wirken sie dessen würdig erscheinen läßt.
Mit freundlichem Gruß
Ströbele