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Hans-Christian Ströbele
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Elbek B. •

Frage an Hans-Christian Ströbele von Elbek B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Ströbele,

Ich bin noch Schüler, allerdings sehr an der Pollitik interessiert, damit geht einher, dass ich auch mit wachsenden Mißtrauen und einiger Entäuschung die Fraktionszwänge beobachte, welche meiner Meinung nach einer wirklichen parlamentarischen Demokratie im Wege stehen.

Die Fronten zwischen den verschiedenen Parteien im Bundestag sind derart verhärtet, dass es den Anschein eines im Stillstand verharrenden Staates hat, da schon aus Prinzip die Abneigungen zwischen den verschiedenen Fraktionen so groß sind, dass nur Kompromisse geschlossen werden können, die weder die Bundesrepublik voranbringen, noch dem einfachen Steuerzahler nützen.

Somit zeigte ich mich sehr erfreut, als ich in der Zeitung las, dass für die Abstimmung über die umstrittene Präimplantationsdiagnostik formell der Fraktionszwang aufgehoben wurde, eigentlich eine Schande, da eigentlich jeder Abgeordnete die reelle Möglichkeit haben sollte, sich frei nach seiner oder ihrer jeweilligen Meinung zu äußern, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen, da man von der Parteilinie abwich.

So ist meine Frage nun an sie, wie sie die "freie" Abstimmung über die PID erlebten und ob es ein Gewinn für die Gemeinschaft wäre, den Fraktionszwang öfter, wenn nicht gar dauerhaft aufzuheben?

Ich persönlich denke, es brächte den politischen Entwicklungsprozess hierzulande weit voran.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Borchert.

Einen Fraktionszwang für Abgeordnete des Deutschen Bundestages gibt es nicht. Davon steht nichts im Grundgesetz oder im Parteiengesetz oder im Abgeordnetengesetz.
Ganz im Gegenteil steht im Grundgesetz, daß die Abgeordneten an Aufträge und Weisungen nicht gebunden, sondern nur ihrem Gewissen unterworfen sind. (Artikel 38) Das gilt immer und ohne Ausnahme.
Trotzdem fühlen die Abgeordneten sich ihren Parteien und Fraktionen verpflichtet. Schließlich verdanken sie ihren Parteien meist ihre Aufstellung als Kandidaten für die Direktwahl oder für die Landeslisten. Deshalb versuchen sie in aller Regel gemeinsam mit ihren Fraktionen einheitlich abzustimmen. Vor allem für Regierungsfraktionen gilt dies, weil sonst befürchtet wird, daß die Regierung in einzelnen Fragen keine Mehrheit im Parlament hat.
Aber immer wieder kommt es vor, daß einzelne Abgeordneten anders abstimmen als ihre Fraktion. So habe ich stets gegen die Kampfeinsätze der Bundeswehr in Afghanistan gestimmt.

Wenn es auch keinen Fraktionszwang gibt, so gibt es doch die Erwartung der Fraktionsvorstände und der Fraktionen, daß die Abgeordneten für Anträge der eigenen Fraktion und nicht für die anderer Fraktionen stimmen. Es gibt Überzeugungsbemühungen der Fraktionsvorstände. Und es gibt zuweilen auch informellen Druck.
Wenn der Fraktions"zwang" formell aufgehoben wird, heißt dies eigentlich nur, daß die Fraktion in diesem einen Fall keine gemeinsame Meinung bildet, sondern es jedem Abgeordneten ausdrücklich freistellt, so zu entscheiden wie er oder sie will. Die Aufhebung des "Fraktionszwanges" ist also der falsche Ausdruck, wird aber von den Medien verbreitet.
So war es auch bei der PID-Abstimmung. Solche ausdrücklichen Freigaben der Abstimmung sind im Parlamentsbetrieb selten.

Ich gebe Ihnen Recht, sie sollten öfters erfolgen. Aber ganz ohne Koordination und völlige Freistellung des Abstimmungsverhaltens würde die parlamentarische Demokratie wohl nicht funktionieren.
Oder doch ganz anders, indem die jeweilige Bundesregierung sich immer wieder eigene neue Mehrheiten suchen müßte.

Mit freundlichem Gruß
Ströbele