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Hans-Christian Ströbele
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Frage von Tjark S. •

Frage an Hans-Christian Ströbele von Tjark S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Ströbele,

wie Sie bin ich "Linker", mit Leib und Seele. Als junger Jurist sind Sie mir mit Ihren klaren rechtsstaatlichen Positionen immer ein großes Vorbild gewesen.

Leider hat sich in der letzten Zeit wegen Ihrer Haltung zu den Themen Zuwanderung und Integration mit Blick auf unsere Mitbürger aus dem islamischen Kulturkreis ein Entfremdungsprozess in Gang gesetzt.

Sie vertreten - zuletzt im TV bei "Maischberger" (ARD) - die Grundthese, dass es zwar im Einzelfall integrationsunwillige und auch kriminelle Muslime gebe, dass es sich dabei aber nicht um ein grundlegendes Problem islamischer Glaubenszugehörigkeit handele. Weiter vertreten Sie, dass ein demokratisches und rechtsstaatliches Deutschland auch in Zukunft bei starker relativer Zunahme der Mitbürger islamischen Glaubens zweifelsohne möglich sei.

Ich wünschte, Sie hätten mit dieser Einschätzung recht. Indes sprechen viele Punkte gegen diese Einschätzung. Länder mit einer islamischen Mehrheitsbevölkerung sind sehr selten demokratisch und rechtsstaatlich. Der politische Islam ist keine Ausnahme, sondern die Regel. Der Islam tritt nicht als bloße Religion, sondern als Gesellschaftsmodell in Erscheinung. Ich bezweifele nicht, dass im Islam die Wende zu einer klaren Trennung von Staat und Religion möglich ist, nur hat es eine solche Entwicklung bisher nicht gegeben. Die aktuellen Situation ist die, dass sogar der berechtigte Universalismus fundamentaler Menschenrechte in der Mehrzahl der islamischen Staaten nicht Schule machen konnte.

Woher nehmen Sie die Hoffnung, dass ausgerechnet die bei uns lebenden Muslime mehrheitlich zu völlig anderen Grundüberzeugungen gelangen werden als die Muslime in anderen Staaten, die eine individualistische Lebensweise, Gleichberechtigung von Mann und Frau u.v.m. erwiesenermaßen ablehnen?

Mit besten Grüßen,

Tjark Schmidt

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Schmidt.

Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in unserem Sinne sind doch keine gottgegebene Ordnung, von der sich die eine Religion mehr die andere weniger entfernt hat.

Beides Demokratie und Rechtsstaatlickeit haben ihren Ursprung in der vorchristlichen griechisch-römisch geprägten Welt des Westens und nicht in Afrika, Amerika, China oder Indien.Von dort und aus dieser Zeit haben sie sich entwickelt - zugegeben mit einigen Unterbrechungen von ein paar Jahrhunderten übrigens häufig gerade wegen des Einflusses der christlichen Religion. In der heutigen Ausprägung sind sie und die Forderungen nach Achtung von Menschenrechten ab den Zeiten der Aufklärung in Europa und gegen die christlichen Kirchen entstanden. Daß Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in anderen Weltregionen nicht so stark akzeptiert sind wie in der westlichen Welt, hängt wohl weniger mit dem guten Einfluß der christlichen Religion und dem schlechten des Islam zusammen als damit, daß sie dort nicht entstanden sind und andere Herrschafts- und Rechtsordnungen dort seit Jahrtausenden zu Hause waren.
So sind heute auch große Länder wie China, die nicht überwiegend vom Islam geprägt sind, weniger demokratisch und rechtsstaatlich nach unseren Maßstäben und Länder wie etwa Rußland und andere Länder der ehemaligen Sowjetunion oder in Lateinamerka waren trotz überwiegend christlicher Bevölkerung noch vor wenigen Jahren oder sind noch heute weniger demokratisch und rechtsstaatlich. Nein eine Mehrheit der Bevölkerung mit christlicher Religion garantiert nicht Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und eine Mehrheit mit islamischer Religion muß diesen nicht entgegenstehen.

So kommt die große Mehrheit der Millionen von Migranten aus islamisch geprägten Ländern wie der Türkei mit der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland ganz gut zurecht. Das zeigt Wahlverhalten der Millionen, die wählen dürfen, und das ergibt sich daraus, daß die riesengroße Mehrheit faktisch eben nicht gegen deutsche Rechtsstaatlichkeit verstößt und nicht straffällig wird. Ganz im Gegenteil nutzt diese Mehrheit auch dieser Migranten mehr und mehr und immer lieber auch die deutsche Rechtsstaatlichkeit, um ihre Rechte zu nutzen und durchzusetzen. Als Rechtsanwalt habe ich zahlreiche Mandaten vertreten, denen ich dabei geholfen habe.
Für die Einstellung der Menschen zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind viele Faktoren von Bedeutung, Tradition, Kulturgewohnheiten und Gebräuche. Religion ist vielleicht ein Faktor davon. Da gibt es schon Unterschiede auch in einem Land, wenn man etwa mit Menschen in Istanbul oder solchen vom Lande spricht.

Und die Behauptung, daß in einigen Jahrzehnten die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland Muslime sind, ist zumindest gewagt und in höchstem Maße zweifelhaft. Dagegen spricht, daß die Zahl der Muslime, die auswandern, seit Jahren immer wieder mal sogar größer ist als die derer, die zuwandern, und daß die Zahl der Geburten in solchen Migrantenfamilien mit der Dauer der Anwesenheit in Deutschland stark rückläufig ist und nahezu den hiesigen Durchschnittswert erreicht. Dagegen spricht auch, daß immer mehr Migranten auch aus islamisch geprägten Länder höhere Bildung erwerben, Alltagsleben in Deutschland auch immer weniger an der Religion orientieren und sich ununterscheidbar eingegliedern. Häufig ist nur noch der Name ein Hinweis auf die Herkunft.

Mißstände und Probleme mit archaischen Macho-Denken und solchen Familenstrukuren, mit Gewaltin Familien und gegenüber anderen gibt es. Ich selbst und auch Mitarbeiter von mir haben damit schlimme Erfahrungen gemacht. Dagegen muß präventiv auf allen Ebenen argumentiert, gearbeitet und Hilfe jeglicher Art organisiert werden.
Aber Überfremdungsängste zu schüren, dafür sehe ich wirklich keinen Grund. Das ist verantwortungslos und gefährlich.

Mit freundlichem Gruß
Ströbele