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Hans-Christian Ströbele
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Frage von Michael L. •

Frage an Hans-Christian Ströbele von Michael L. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Ströbele,

seit Jahren gibt es das Problem der immer weiter ausufernden Abmahnwellen Ihrer Rechtsanwaltskollegen. Ein normaler Bürger kann ja gar nicht alle Gesetze und Verordnungen kennen. Daher ist es sehr schnell möglich aufgrund von Unwissenheit Fehler bei der Gestaltung von privaten oder geschäftlichen Internetseiten, bei dem verkauf von privaten Dingen z.B. über Ebay sich in den Fokus der "Abmahnanwälte" zu setzen. Die Kanzleien (z.B. eine Kanzlei wie "Kanzlei Waldorf Frommer Rechtsanwälte" ) haben sich auf dieses sehr lukrative Geschäft professionell eingestellt, um in erster Linie Geld zu scheffeln.

Grundsätzlich ist es sicher richtig die entsprechenden Personen auf das vergehen aufmerksam zu machen und auf Unterlassung zu verpflichten. Mit Sicherheit haben da die wenigsten ein Problem damit, aber mit den Kostennoten von mehren tausend Euro schon. Da werden Existenzen bedroht. In anderen Ländern werden für die erste Abmahnung Kostennoten von 50€ legitimiert, mehr nicht.

Das sollte geändert werden wenn der Fokus auf den Part der Unterlassung liegt und nicht auf Profitgier.

Nun Herr Ströbele ist diese Problematik seit vielen Jahren bekannt, Justizminister haben oft Änderungen angemahnt, was gedenken SIe hier für die Bürger zu tun?

Herzlichen Dank für Ihre geschätzte Antwort.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Lemke.

Ihr Ärger über missbräuchliche und ausufernde Abmahnungen, die grundsätzlich im deutschen Recht seit jeher anerkannt sind, ist grundsätzlich berechtigt und nachvollziehbar. Es gab tatsächlich auf Abmahnungen reduzierte und konzentrierte Vereine und Anwaltskanzleien, deren eigentlicher Zweck darauf gerichtet zu sein schien, Gebühren zu berechnen.

Allerdings fand es in den letzten Jahren eine Entwicklung in Rechtsprechung und Gesetzgebung statt (insbesondere nun in Kraft ab 1.9.2008), die der geäußerten Kritik weitgehend Rechnung trägt. Deshalb erscheinen derzeit weitere parlamentarische Initiativen nicht notwendig.

Im einzelnen:
Zurecht wurde vielfach auf missbräuchliche Abmahnungen anlässlich geringfügiger formaler Regelverstöße hingewiesen.
Missbräuche des rechtlichen Vorgehens sollten möglichst ausgeschlossen sein.
Eine Abmahnung soll dazu dienen, bei einem Verstoß gegen Rechtsvorschriften einen Streit beizulegen, ohne dass ein Gericht angerufen werden muss und damit unnötig hohe Kosten verursacht werden. Deshalb sollte die Abmahnung nicht mit Kosten verbunden sein, die durch den Aufwand nicht gerechtfertigt sind und die Streitbeilegung damit häufig unnötig erschweren.

Zwar muss der Verletzer die Kosten einer Abmahnung nur dann erstatten, wenn die Abmahnung berechtigt erfolgte, er also ein Rechtsverstoß begangen hat. Doch häufig hat der private Verletzer die Rechts- und Kostenfolgen nicht ausreichend erkannt. Deshalb ist es richtig, wenn die Kostenbelastung durch bloße Abmahnschreiben eingeschränkt und gedeckelt wird. Die Rechtsprechung hat dazu bereits den Weg gewiesen und zutreffende Grundsätze entwickelt, die das Kostenrisiko stark vermindert haben.

Der Bundesgerichtshof hat erhebliche Einschränkungen durch zwei Urteile vom 12. 12. 2006 (Az. VI ZR 175/05 + 188/05 : AnwBl 2007, 547, 548) und zuvor bereits durch Urteil vom 6. 05. 2004 (Az. I ZR 2/03 - NJW 2004, 2448 „Selbstauftrag“) festgelegt. http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=300&Z=NJW&B=2004&S=2448

Danach ist es Rechtsanwälten verwehrt, wegen behaupteter Verletzungen eigener Rechte abzumahnen und dafür eigene Anwaltsgebühren erstattet zu verlangen. Derlei Fälle schwarzer "Anwalts-Schafe" waren in der Vergangenheit gerade wegen Verstößen im Bereich Multimediarecht bekannt geworden. Ein Teil der Probleme ist damit gelöst.

In 2 neueren Entscheidungen hat der BGH diesen Ausschluss vom Gebührenersatz für Abmahnungen und auf sogen. Abschlussschreiben erweitert. Alle geschäftlich nicht ganz ungewandten Verletzten können in durchschnittlichen Fällen nicht mehr die Kosten für die Beauftragung eines Rechtsanwalts für die Erstellung der Abmahnung verlangen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sie die Abmahnung selbst verfassen müssten, dafür also erstattbare Anwaltsgebühren nicht entstehen.

§ 97a Urheberrechtsgesetz in der (insoweit) am 1.9.2008 in Kraft getretenen Neufassung durch das „Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums" vom 7.7.2008 (Gesetz vom 07.07.2008 - Bundesgesetzblatt Teil I 2008 Nr. 28 11.07.2008 S. 1191; vgl. BT-Drs. 16/5048: dort in Art. 6 Nr. 10) begrenzt für Abmahnungen (nur) im Bereich des Urheberrechts die zu erstattenden Gebühren einer erstmaliger Abmahnung in einfachen Fällen auf 100 EUR.
http://www.bgblportal.de/BGBL/bgbl1f/bgbl108s1191.pdf
Der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen für die Inanspruchnahme anwaltlicher Dienstleistungen für die erstmalige Abmahnung beschränkt sich in einfach gelagerten Fällen mit einer nur unerheblichen Rechtsverletzung außerhalb des geschäftlichen Verkehrs auf 100 Euro.

Wenn jenseits des Urheberrechts Akteure im geschäftlichen Verkehr z.B. bei ebay-Verkäufen materielle oder formelle Vorschriften gemäß §§ 3, 7 UWG verletzen (u.a. solche zugunsten des Verbraucherschutzes: z.B. Impressums-, Belehrungs- oder Preis-angaben-Pflichten) und dies zudem geeignet ist, die Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern im Sinne des § 3 UWG "spürbar" zu beeinträchtigen, so stehen gemäß § 8 Abs. 1 UWG außer Lauterkeits-, Verbraucher-schutz-Verbänden und zugelassenen qualifizierten Einrichtungen auch „Mitbewerbern“ Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche zu. Denn solche Rechtsverstöße bringen den Verletzern Wettbewerbsvorteile gegenüber Konkurrenten, rügt die Rechtsprechung zutreffend.

Demnach dürfen in solchen Fällen etwa Privatleute, Unternehmen oder Rechtsanwälte, soweit sie konkret keine Mitbewerber sind, auch keine Unterlassung verlangen, abmahnen lassen und Aufwendungsersatz dafür verlangen.

Für Mitbewerber gilt eine wirkungsvolle Einschränkung gemäß § 8 Abs. 4 UWG:
Danach ist die Geltendmachung von Beseitigungs- und Unterlassungsansprüchen „unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist, insbesondere wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen.“

Wann diese Voraussetzungen vorliegen, hat die Rechtsprechung vielfach entschieden. Dazu darf ich beispielhaft verweisen auf die Übersicht etwa bei Renner, HFR 10/2009, S. 1 – 13.
http://www.humboldt-forum-recht.de/deutsch/10-2009/beitrag.html#punkt1

Diese Rechtslage sowie die dazu ergangene beschränkende Rechtsprechung schließen die Durchsetzbarkeit missbräuchlicher Abmahnungen, Unterlassungs- und Gebührenersatz-Ansprüche aus und schützen die von derlei Forderungen Betroffenen.

Mit freundlichen Grüßen
Ströbele