Frage an Hans-Christian Ströbele von Ewald B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Ströbele,
ich hoffe, meine Frage ist für Sie nicht so neu, dass Sie sich niemals mit so etwas beschäftigt haben und Sie deshalb auch einigermaßen spontan und reflektiert darauf antworten können.
Ich habe mich bereits als Jugendlicher gefragt, wie es sein kann, dass Deutschland bis 8. Mai 1945 in einer Diktatur leben konnte, um nachher beinahe ausschließlich aus erklärten Demokraten zu bestehen. Eine ähnliche Frage könnte man auch bezüglich der DDR stellen. Erst schwingen die Menschen Fähnchen für den Arbeiter- und Bauernstaat, nur kurze Zeit später sind sie fast alle überzeugte Demokraten. Erst rufen Millionen „Heil Hitler“, plötzlich sind die meisten erklärte Demokraten. Nicht nur die Linke hat heute noch viele Mitglieder in wichtigen Funktionen, die früher aktive Mitglieder der SED waren. Plötzlich sind alle Demokraten. Um es einmal etwas satirisch zu formulieren: Franz Josef Strauß hätte einen Herzinfarkt bekommen, wenn man ihm vor 25 Jahren gesagt hätte, dass seine Partei einst einen ehemals systemnahen DDR-Politiker zum Ministerpräsidenten eines deutschen Bundeslandes, eine ehemalige FDJ-Sekretärin gar zur Bundeskanzlerin wählen würde. Aber -wie gesagt-, das ist jetzt schon ein wenig satirisch gemeint, soll aber meiner eigentlichen Frage den geeigneten Rahme geben:
Glauben Sie, dass die elementare Motivation der meisten Menschen in politischer Verantwortung, -ob auf kommunaler, landes- oder bundespolitischer Ebene- die ist, mit Inbrunst und Herzblut der Demokratie zu dienen? Oder anders gefragt:
Wie viele Menschen in politischer Funktion wären ihrer Meinung nach auch dann in wichtiger Funktion, wenn wir ein völlig anderes politisches System hätten?
Sind die Motive, in die Politik zu gehen, überwiegend einem Karrieredrang geschuldet und deshalb mehr oder weniger unabhängig vom politischen System?
Wie viel echte Demokratie steckt in uns?
Wie viel ist Anpassung?
Für Ihre hoffentlich ehrliche Antwort im Voraus herzlichen Dank
Sehr geehrter Herr Beck.
Ihre Fragen kann ich nachvollziehen, habe ich sie mir doch so oder so ähnlich selbst immer wieder auch selbst gestellt.
Wenn ich heute im TV historische Aufnahmen der vielen Menschen sehe, die Hiltler bis zuletzt zugejubelt hatten, erinnere ich mich an viele, die in der Nachkriegszeit nichts davon wissen wollten.
Franz Joseph Strauß sehen Sie vielleicht nicht ganz richtig. Schließlich konnte er durchaus pragmatisch reagieren, wenn es um Geschäfte mit der DDR ging, was etwa der Milliardendeal mit der DDR zeigt, den er eingefädelt hatte.
Aber viel wichtiger ist Ihre Frage, wie hätten wir, jeder von uns, gedacht und gehandelt, wenn wir in einem anderen politischen System in Deutschland gelebt hätten oder jetzt leben würden. Hätten wir uns nicht angepaßt, gar Widerstand geleistet? Hoffentlich. Ich wage die Fragen sicher nicht zu beantworten.
Die Motive, in die Politik zu gehen, sind wohl sehr unterschiedlich. Dem Volke oder der Demokratie dienen, wird es allein wohl nie sein. Ein bischen Streben nach Anerkennung und Karriere wird stets dabei sein und dazu zuweilen auch Anpassung. Beim einen mehr beim anderen weniger.
Mit freundlichem Gruß
Ströbele