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Hans-Christian Ströbele
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Frage von Oliver S. •

Frage an Hans-Christian Ströbele von Oliver S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Ströbele,

häufig reden wir in Deutschland von Quoten, sei es die Frauenqoute oder ähnliches.
Zu meinem Erschrecken stelle ich fest, das der Bundestag mit bis zu 25% von Juristen besetzt ist.
Ich glaube nicht das Juristen tatsächlich die Belange der Menschen in unserem Land vertreten sondern es komplizieren mit ihren undurchsichtigen gesetzestexten etc.
Ein Jurist ist nichts besseres und vertritt meiner Erfahrung nach niemals die Sorgen eines Einzelhandelskaufmannes oder der Krankenschwester oder anderer Berufsgruppen aus dem Nichtakademischen Bereich.
Warum gibt es keine Qoutenregelung diesbezüglich?
Auch der Anteil an der Gesamtbevölkerung zeigt ganz klar das Juristen überproportional vertreten sind und ihre Gesetzestexte niemand ohne Studium nachvollziehen bzw verstehen kann.
Muß Politik nicht für alle und jeden verständlich sein?

MfG
Stang

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Stang.

Erstmal haben Sie Recht damit, daß Politik für alle verständlich sein muß. Das gilt auch für die Texte von Rechtsvorschriften, also insbesondere für Gesetzestexte. Es stimmt auch, daß die Gesetze in Deutschland heute so formuliert sind, daß vieles für die Nichtjuristen kaum oder nicht verständlich ist. Übrigens haben auch Juristen häufig große Schwierigkeiten, wenn sie in einem Spezialgebiet nicht zu Hause sind. Auch mir als Rechtsanwalt geht es häufig so, daß ich lange über Gesetzestexten brüte, was wohl gemeint sein könnte.
Alle Politiker und auch die Juristen betonen deshalb auch immer wieder, daß es in Zukunft erstens viel weniger und zweitens vielmehr allgemein verständliche Gesetze geben soll.
Nur lösen Sie dies nicht damit, daß unter den Bundestagsabgeordnete weniger Juristen sind. Denn auch die Gesetze, bei deren Formulierung kein einziger Abgeordneter beteiligt, der oder die Jura studiert haben, sind nicht besser verständlich formuliert.
Das liegt einmal daran, daß die Mitarbiter der Abgeordneten und der Ministerien, die die Gesetzestexte schreiben, wiederum meist Juristen sind.
Aber es gibt auch Gründe in der Sache selbst. Vorschriften, die viele Sachverhalte abstrakt regeln sollen, sind eben häufig nicht so einfach zu formulieren wie die Bibel. Das haben schon viele Deutschlehrer, Journalisten oder Dichter versucht. Sie können sich ja mal die Mühe machen und die Vorschriften des Strafgesetzbuches zu Betrug und Untreue (§§ 263, 266 StGB) allgemein verständlicher formulieren. Und das gehört noch zu den leichteren Übungen.

Grundsätzlich stimme ich Ihnen darin zu, daß möglichst viele Bevölkerungsgruppen auch im Parlament durch Abgeordnete repräsentiert sein sollten. Da bleibt derzeit viel zu wünschen.

Quotenregegelungen sind aber insoweit nicht möglich, weil ja neben den Berufsgruppen, Männer und Frauen, die Altersgruppen von Jung bis Alt, Stadt und Land, Religionsgruppen und viele den Anspruch stellen könnten, berücksichigt zu werden. Am Ende müßte der Computer berechnen, wer die meisten Quoten erfüllt und Abgeordneter werden kann.

Für die besondere Häufung von Juristen und Juristinnen im Parlament sehe ich zwei Hauptgründe:
Einmal ist die Juristenausbildung eine gute Voraussetzung für die Abgeordnenttätigkeit. Nicht nur wenn es um Lesen und Formulieren der Gesetzestexte geht, sondern weil zur Ausübung des Juristenberufes ja stets gehört, sich in andere Fachgebiete und deren Probleme etwa Wirtschaft, Finanzen, Handel, Bau, Vermietungen, Kultur, Soziales, Kriminalität und vieles mehr einzuarbeiten. Das ist in der Politik ähnlich.
Zweitens sind unter den Personen, die Jura studieren unverhältnismäßig viele, die sich für Politik interessieren und in Parteien engagieren.
Eine förmliche Beschränkung der Zahl der Juristen halte ich für falsch. Die Wählerinnen und Wähler sollten entscheiden, wen sie ins Parlament wählen, ob mehr oder weniger Juristen oder Personen aus anderen Berufen. Das können sie bei der Wahl der Erststimmenkandidaten diekt, aber auch bei der Wahl der Landeslisten der Parteien mit der Zweitstimme.

Mit freundlichem Gruß
Ströbele