Frage an Hans-Christian Ströbele von Gabriele T. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Stroebele,
am 09. Februar habe ich Ihnen eine wichtige Frage für mich zum Thema: Meine Daten gehören mir - und die elektronische Gesundheitskarte gestellt.
Da ich nicht davon ausgehe, dass Sie sie nicht beantworten wollen, sondern dies wegen der inwzischen vergangenen Zeit wahrscheinlich vergessen haben, möchte ich Sie doch höflichst bitten, mir auf meine Frage zu antworten.
Mit freundlichen Grüßen
Gabriele Thiess
Sehr geehrte Frau Thiess,
Sie haben Recht,Ihre Frage zur elektronischen Gesundheitskarte habe ich noch nicht beantwortet. Ich hatte meine differenzierte Antwort zunächst zurückgestellt, um mich kundig zu machen, und dann war die Frage verloren.
Ihre Sorgen vor Datenmißbrauch verstehe und teile ich grundsätzlich. So kann ich auch die Überlegungen all derer nachvollziehen, die die Einführung von Gesundheitskarten ablehnen, welche die bei den Ärzten vorhandenen Daten der Patienten zusammenführen und zur Verfügung halten. Denn die Einführung solcher Datenverbundsysteme birgt immer die Gefahr, daß sie mißbraucht werden.
Allerdings sehe ich auch den möglichen Nutzen solcher Karten für die Patienten. Die ärztliche Versorgung der einzelnen Patienten liegt häufig in den Händen zahlreicher Ärzte, die viele Medikamente verschreiben. Gerade in Notfällen, in denen die Patienten selbst nicht in der Lage sind, den neu mit ihnen befaßten Ärzte schnell und einigermaßen vollständig über vorangegangen Behandlungen (alle Ärzte und Medikamente) zu informieren, kann es wichtig sein, alle Befunde und Heilversuche zusammenzuführen und den Ärzten zur Verfügung zu halten. Wir alle machen doch die Erfahrung, daß in solchen Situationen viel zu Vorerkrankungen, Ärzten, Therapien und Medikamenten nicht präsent ist und ungesagt bliebt.
Das bisher vorgelegten und getesten Konzepte einer elektronischen Gesundheitskarte halte ich jedoch für nicht akzeptabel. Die notwendige Sicherheit vor Datenmißbrauch ist mit der bisherigen Verschlüsselungstechnologie nicht und die Freiwilligkeit für die Patienten nicht ausreichend garantiert.
Datenschutzbeauftrage haben wiederholt darauf hingewiesen.
Ich halte die Einführung einer elektronische Gesundheitskarte aber allenfalls dann für vertretbar, wenn sie höchsten Sicherheitsstandards genügt und auch nur ausschließlich für die Patienten, die nach vorangegangenen Information über die verbleibenden Risiken freiwillig zustimmen. Auch muß es möglich sein, daß die Patienten verbindliche Einschränkungen für die Aufnahme von Daten in die Gesundheitskarte bestimmen können und bestimmte Krankheiten wie etwa psychische Erkrankungen ganz von Aufnahme ausgenommen bleiben.
Aus gesundheitspolitischer Sicht spricht einiges für die elektronische Gesundheitskarte. Die qualitative Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung ist ohne übergreifende Kommunikationsnetze kaum denkbar. Behandlungskonzepte für die Versorgung der steigenden Zahl chronisch Kranker und an mehreren Krankheiten leidender älterer Patientinnen und Patienten funktionieren nicht, wenn sie sich nur auf die einzelne Arztpraxis oder das einzelne Krankenhaus beziehen. Diese integrierten Versorgungsformen brauchen eine informationstechnische Grundlage, mit der der Datenaustausch zwischen Arztpraxen, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen im Gesundheitswesen verbessert werden kann - im Interesse der Patientinnen und Patienten, denen mangelnde Kooperation, nicht abgestimmte Medikamententenverordnungen und Doppeluntersuchungen erspart werden sollen.
Aber auch zu einem verbesserten Datenschutz und zu mehr informationeller Selbstbestimmung im Gesundheitswesen kann sie beitragen. Durch die Anwendung von Verschlüsselungstechnologien, die erforderliche doppelte Autorisierung durch Patient und Arzt sowie das Recht für die Versicherten, den Datenzugriff nur selektiv zu gewähren, kann sie weitaus mehr Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung als die papiergebundenen Patientenakten bieten. Zudem kann die Karte Kommerzialisierung von Patientendaten durch elektronische Patientenakten im Internet entgegen wirken.
Allerdings wird ihr Potenzial nur dann zu erschließen sein, wenn sie bei den Patientinnen und Patienten und auch bei den Anbietern von Gesundheitsleistungen auf Akzeptanz stößt. Voraussetzung dafür ist, dass ihre Online-Anwendung auch für die Ärzteschaft freiwillig ist, Barrierefreiheit für Ältere und Behinderte hergestellt wird und in Zusammenarbeit mit Patientenverbänden unabhängige Unterstützungsangebote für die Patientinnen und Patienten entstehen. Dazu gehört auch, dass auf jeder Entwicklungsstufe der Karte eine Evaluierung unter Einbeziehung aller Beteiligten stattfindet und notwendige Korrekturen vorgenommen werden. Das wird für die Zustimmung zur elektronischen Gesundheitskarte weitaus wichtiger sein, als das Einhalten von Zeitplänen, die von der Politik, Krankenkassen oder Wirtschaft gesetzt werden.
Von der von CDU/CSU und FDP in ihrem Koalitionsvertrag vereinbarte "Bestandsaufnahme" erwarten wir wenig. Sie soll sich vornehmlich auf die Organisationsstrukturen beziehen, in denen die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte bisher stattfindet. Das ist vor allem als Geste gegenüber der Ärzteschaft gedacht, in der es viel Kritik an der Karte gibt. Positive Impulse für die Versicherten- und Patientenorientierung der Karte sind von einer solchen Symbolpolitik wohl kaum zu erwarten.
Mit freundlichen Grüßen
Christian Ströbele