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Hans-Christian Ströbele
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Frage von Frank S. •

Frage an Hans-Christian Ströbele von Frank S. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Ströbele,

auf Ihren Wahlplakaten fordern Sie die "Entwaffnung der Finanzmärkte".

Die rot-grüne Koalition, der Sie ja angehörten, verabschiedete 2002 das vierte Finanzmarktförderungsgesetz. Ziel des Gesetzes ist es laut Begründung unter anderem, die Wettbewerbsposition der deutschen Börsen und der dort tätigen Fonds und sonstigen Akteure zu verbessern, sowie „ihre Handlungsspielräume durch Deregulierung und weitere Anpassung an internationale Standards zu erhöhen“.

2003 beschloss Rot-Grün das so genannte Kleinunternehmerförderungsgesetz, mit dem eine steuerliche Besserstellung von Forderungsbesicherten Wertpapieren (Asset Backed Securities, ABS) beschlossen wurde. Ihre grüne Parteifreundin Christine Scheel lobte damals die so geschaffene Möglichkeit der Verbriefung von Krediten als Erfolg (Bundestags-Plenarprotokoll vom 6. Juni 2003, Sitzung Nr. 15/49). Heute gelten diese Papiere und die Verbriefung von Krediten als Auslöser der Finanzkrise und als eine der gefährlichsten "Waffen" der Finanzmärkte.

Am 1. Januar 2004 trat das unter Rot-Grün beschlossene Investmentmodernisierungsgesetz in Kraft, mit dem die Grundlage zur Einführung von Hedgefonds in Deutschland geschaffen wurde.

Diese und andere - auch von den Grünen eingeführte - Gesetze haben eher zu einer "Aufrüstung" der Finanzmärkte als zu deren "Entwaffnung" beigetragen.

Wie wollen Sie verhindern, dass Ihre Partei erneut solche oder andere neoliberale Gesetze beschließt und wie wollen Sie künftig verhindern, dass Sie solchen Gesetzen erneut zustimmen, obwohl Sie ja fachlich eigentlich nicht zuständig sind und sich bestimmt auch in Fachfragen auf Ihre Kolleginnen und Kollegen (wie z.B. Frau Scheel) verlassen müssen?

Mit freundlichen Grüßen

F. Sunders

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Sunders.

Ja das stimmt, die "Entwaffnung der Finanzmärkte" fordere ich. Diese Forderung wäre auch richtig, wenn die Grünen in der Regierungszeit Gesetze mitbeschlossen hätten, die die "Wettbewerbsposition der Fonds und sonstiger Akteure verbessern sollen".

Richtig ist daß in den Jahren 2000 bis 2003 Gesetze verabschiedet wurden, die den Finanzplatz Deutschland attraktiver machen sollten. Damals wurde argumentiert, es ginge auch um die Erhaltung von Arbeitsplätzen in diesem Bereich und um die Unterstützung von Frankfurt im Wettbewerb mit anderen Finanzplätzen in London und New York.

Das von Ihnen angeführte Investmentmodernisierungsgesetz wurde 2003 im Bundestag verabschiedet und zwar einstimmig ohne Gegenstimme und ohne Enthaltung - auch nicht von PDS-Abgeordneten. Soweit ich erinnere, war ich bei der Abstimmung nicht anwesend. Mit diesem Gesetz sollten neben vielen anderen Regelungen im Finanz-und Wirtschaftsbereich nicht einfach Hedge-Fonds in Deutschland zugelassen werden, sondern der "Anlegerschutz verbessert", und, wie es in dem Gesetz ausdrücklich heißt, "erstmalig Regelungen zur Zulassung und Regulierung von Hedgefonds (Sondervermögen mit zusätzlichen Risiken) ins Gesetz aufgenommen werden". Der deutsche Gesetzgeber versuchte die Zulassung solcher Fonds von mehr Transparenz, der Einhaltung von Melde-, Genehmigungs- und Rechnungslegungspflichten abhängig zu machen und damit erstmalig die Anleger zu schützen.
Der Versuch erwies sich bald als untauglich und illusorisch, schon weil die Hedgefonds, die in Deutschland eifrig Kapitalanleger sammelten, ganz überwiegend weiter ihren Sitz im Ausland behielten. Gerade wegen der geforderten Kostentransparenz und der deutschen Regulierungsvorschriften haben sie wohl von der Regelung für Deutschland fast gar keinen Gebrauch gemacht. Das Investmentgesetz hat die Finanzkrise weder herbeigeführt, noch die Akteure wesentlich beeinflußt. Die spekulativen Finanzmärkte wurden leider nennenswert nicht reguliert.
Für eine effektive Kontrolle der internationalen Finanzmärkte wurde nichts getan.

Seinerzeit habe ich mich an diesen Diskussionen nicht beteiligt. Einmal war Finanzpolitik nun wirklich nicht der Bereich, mit dem ich im Bundestag besonders befaßt war und in dem ich mich auskannte. Zum anderen war ich mit meinen Engagement in der Innen- und Rechtspolitik - u.a. gegen die "Ottokataloge", an die Sie sich sicher erinnern - mehr als ausgelastet. Hinzu kam die jahrelange Aufklärungsarbeit im CDU-Spenden-Untersuchungsausschuß. Das alles hat mich ziemlich in Anspruch genommen. Soweit ich mich erinnere und jetzt feststellen, habe ich an der Abstimmung der von Ihnen aufgeführten Gesetze nicht teilgenommen.

Aber ich hatte durchaus eine Meinung zu den Bemühungen von Rot/Grün durch Steuersenkungen und Förderung der Finanzmärkte die Unternehmer zu Investitionen und zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu bewegen. Ich teilte diese Hoffnungen nicht. Ich habe auch nicht verstanden und nicht nachvollziehen können, daß am selben Tag, an dem die Hartz-IV-Gesetze in Kraft gesetzt wurden, das soziale Netz sei sonst nicht mehr finanzierbar, der Spitzensteuersatz der Enkommenssteuer gesenkt wurde. Von den Geschäften der Fonds wußte ich nicht viel. Nur von den Hedge-Fonds ein Wenig. Diese kauften große Unternehmen, die in Schwierigkeiten geraten waren, günstig auf, haben dann viele Mitarbeitende entlassen und die lukrativen Teile der übernommenen Unternehmen mit hohem Gewinn verkauft. Deshalb gehörten meine Symphatien diesen Hedge-Fonds nicht. Mit SPD-Müntefering war ich nicht häufig einer Meinung, aber seine Sprüche damals gegen die Heuschrecken fand ich richtig.

Und auf meinem Wahlplakat für den Wahlkampf 2005 fährt der Fahrradfahrer, der mir ähnlich sehen soll, direkt auf eine Heuschrecke zu und hat sie mit dem Vorderrad schon fast erreicht. Von den Spekulationsgeschäften der Fonds und aller Banken auf dem US-Immobilienmarkt und der Kreditblase wußte ich nicht viel. Von der bevorstehenden Finanzkrise ahnte ich nichts, wie all unsere Fachleute wohl auch nicht. Vielleicht wäre das Fahrrad auf dem Wahlplakat 2005 sonst noch ein wenig schneller gewesen und hätte schon damals zur "Entwaffnung" einen kleinen Beitrag geleistet.

Als dann 2008 die Finanzkrise auch in Deutschland aufschlug, habe ich mit der ganzen grünen Fraktion gegen das Finanzmarktstabilisierungsgesetz gestimmt. Wir haben die Forderungen nach Transparenz der Entscheidung der Bundesregierung und Mitbestimmung des Bundestages in zahlreiche Anträge im Parlament artikuliert und eingebracht. Wir haben uns für die Einsetzung des Untersuchungsausschusses zur Aufklärung eines Teiles der Finanzkrise stark gemacht. Ich habe in zahlreichen parlamentarischen Anfragen versucht von der Bundesregierung Auskunft über die Finanzhilfen für Banken zu erhalten. Vergeblich. Danach gehe ich davon aus, daß die bündnisgrüne Fraktion gegen die Versuchung gefeit ist, jemals wieder solchen Gesetzen zuzustimmen. Und ich kenne mich jetzt auch besser aus und werde mich, wie auf dem Wahlplakat angekündigt, nach der Wahl besonders für die Entwaffnung der Finanzmärkte engagieren.

Mit freundlichem Gruß
Ströbele