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Hans-Christian Ströbele
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Frage von Marcel E. •

Frage an Hans-Christian Ströbele von Marcel E. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Ströbele,

mir ist bekannt, dass sie seit langer Zeit gegen den Krieg in Afghanistan sind. Dies kann ich nur befürworten. Jedoch frage ich mich, was passiert, wenn wir Afghanistan verlassen? Ich nehme an, dass die Taliban dann das Land wieder komplett übernehmen werden. Infolgedessen haben wieder alle Bürgerinnen und Bürger unter Unterdrückung und anderen demokratiefeindlichen Dingen zu leiden. Sind wir derzeit nicht schon genug in der Sache verstrickt als dass wir einfach so gehen könnten? Wie stellen Sie sich ein Afghanistan ohne Besatzungen vor? Ist dieses Afghanistan auch "besser"?

Mit freundlichen Grüßen
Marcel Emmerich

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Emmerich.

Sie haben recht. Ich war von Anfang an gegen den Krieg gegen und in Afghanistan. Ich habe deshalb auch im Bundestag gegen den Kriegseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan gestimmt.
Jetzt sammle ich im Wahlkampf eifrig Unterschriften für die Beendigung des Krieges in Afghanistan in verantwortbarer Weise. Ich treffe auf viel Zustimmung.
Der Krieg wurde nicht begonnen, um damit "die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr unter Unterdrückung durch die Taliban anderen demokratiefeindlichen Dingen" leiden. Bis zum 11. September 2001 pflegten die USA und EU-Staaten normale, zuweilen sogar gute Beziehungen zu der Talibanregierung, obwohl schon damals die schrecklichen Auswirkungen deren Herrschaft auf die Bevölkerung bekannt waren. Ja die USA hatten sogar die Taliban bei ihrer Entstehung und ihrem Kampf um die Macht in Afghanistan zeitweilig unterstützt.
Die Anwendung der Gewalt wurde durch UN-Beschluß nur zugelassen, um die Verantwortlichen für die Anschläge in den USA vom 11.9. 2001 der Gerechtigkeit zuzuführen ("to bring to justice") und nicht um die Unterdrückung der Rauen zu beenden oder demokratische Verhältnisse zu schaffen.
Auch ich will nicht, daß die Taliban wieder das Land nach ihren islamistischen Vorstellungen beherrschen. Und niemand weiß, wie dies sicher und auf Dauer verhindert werden kann.
Was wir aber wissen ist, daß die Taliban jedes Jahr dramatisch stärker geworden sind und das durch den Krieg.
Dieser Krieg ist militärisch nicht zu gewinnen. Das sagen auch immer mehr NATO- und US-Militärs. Die militärische Lage wird von Jahr zu Jahr dramatisch schlechter. Die Zahl der Angriffe und die Verluste an Zivilisten und Soldaten nehmen zu. Faktisch kontrollieren Taliban und andere Widerstandsgruppen immer größere Teile des Landes. Aufbauhelfer können die Region Kabul auf dem Landweg kaum noch verlassen. Bundeswehrsoldaten agieren auch im Norden im Raum Kundus außerhalb der befestigten Lager fast nur noch in Kolonnen mit Panzerwagen. Die Bevölkerung lehnt die ausländischen Truppen mehr und mehr als Besatzer ab und macht dabei keinen Unterschied zwischen OEF und ISAF-Soldaten. Das war schon mal anders in weiten Teilen Afghanistans. Es ist die Konsequenz aus der gescheiterten Offensivstrategie von OEF und NATO mit dem Ziel der Vernichtung der Taliban durch Bombardierungen von Dörfern und Gehöften. Dieser Krieg hat den Taliban neue Kämpfer und verbündete Widerstandsgruppen zugetrieben. Jeder durch US-Bomben getöteter oder verletzter Zivilist steigert den Haß auf die NATO-Soldaten und mobilisiert zusätzliche Kämpfer aus den Familien der Opfer.
Der Imageschaden für alle ausländischen Truppen ist irreparabel.
Wenn wir nicht in fünf oder zehn Jahren vor derselben Frage stehen wollen wie heute, wie kommen wir raus aus der Dauerkatastrophe, brauchen wir eine Ausstiegsstrategie jetzt. Denn bis dahin werden Tausende weitere Menschen, Zivilsten und Soldaten, im Krieg gestorben sein, verstümmelt oder verletzt sein. Das ist unverantwortlich.
Exitstrategie heißt nicht, alle Soldaten jetzt sofort abziehen, sondern den Krieg in verantwortbarer Weise beenden. Statt eines Weiter-So mit immer mehr Militär muß die Bereitschaft zum Truppenabzug erklärt und dieser begonnen werden. Sofort beendet werden muß die Offensivkriegführung. Zunächst über Waffenstillstand ist mit allen am Krieg Beteiligten zu verhandeln. Dann muß mit ihnen und allen Nachbarstaaten ausgehandelt werden, wie möglichst viel Wiederaufbau gerettet und Sicherheit ohne NATO erreicht werden kann. Man muß dies wenigstens ausloten.

Der kürzlich verstorbene ehemalige US-Verteidigungsminister Mc Namara hat 20 Jahre nach dem verlorenen Krieg der USA in Vietnam geschrieben: "Wir lagen falsch, schrecklich falsch". Viele hunderttausend Menschen haben den Fehler mit dem Leben bezahlt. Auch damals ging es angeblich um den zivilen Aufbau, die Rettung von Demokratie und westlichen Werten. Auch damals war die Forderung nach dem Abzug der US-Truppen lange tabuisiert, um das Ansehen der US-Militärmacht nicht zu schädigen.

Aus Fehlern sollten wir lernen.

Mit freundlichem Gruß
Ströbele