Frage an Hans-Christian Ströbele von Michael J. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Warum ist aus Ihrer Sicht die Schere zwischen Arm und Reich in 7 Jahren Rot-Grün größer geworden?
Warum haben Sie nichts gegen Hartz IV getan?
Sehr geehrter Herr Jendrian,
vielen Dank für die an Herrn Ströbele gestellten Fragen. Herr Ströbele hat mich gebeten, Ihnen zu antworten.
Auf Ihre zweite Frage möchte ich zuerst antworten:
"Warum haben Sie nichts gegen Hartz IV getan?"
Herr Ströbele hat sich für Änderungen der Ausgestaltung von Hartz IV eingesetzt und am 19.12.2003 abschließend gegen das Gesetz gestimmt. Im Einzelnen:
1. "Hartz IV" wird die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe genannt. Die Probleme liegen hier vor allem in der Ausgestaltung, ich komme darauf zurück.
Die Zusammenlegung selbst ist eine alte Forderung. Die Arbeitslosenhilfe wurde in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre eingeführt neben Sozialhilfe (staatlicher Fürsorge) und Arbeitslosenversicherung (umlagefinanziert) als Mischform von beiden. Sie war gedacht für besondere branchenspezifische oder regionale Krisen, wo die Arbeitslosenversicherung mit ihrer Dauer nicht ausreichte. Es zeigte sich bereits in der Großen Depression 1929ff. das Problem der nebeneinander existierenden sozialen Sicherungssysteme, dass nämlich die Kommunen, die die Sozialhilfe finanzieren mussten, Arbeitsprogramme aufstellten, um die Betroffenen wieder in das Arbeitslosenversicherungssystem zubringen, die Arbeitslosenversicherung aber die Bezugsdauer kürzen musste, um die Betroffenen wieder rasch in die staatliche Finanzierung zu bringen (Arbeitslosenhilfe wurde zu 4/5 von den Kommunen finanziert, 1/5 vom Reich). Dieses Hin- und Herschieben der Betroffenen zwischen verschiedenen sozialen Leistungsträgern bzw. staatlichen Ebenen setzte sich bis in die jüngste Zeit fort und soll durch die Zusammenlegung minimiert bzw. beendet werden. Das System der Arbeitslosenhilfe wird obsolet, wo Arbeitslosigkeit nicht ein spezifisches regionales oder Branchen-Problem ist, sondern - wie heute - leider ein Problem, was Branchen und Regionen übergreift. Es ist unter solchen Umständen nicht einzusehen, warum im System der Arbeitslosenhilfe der Staat nicht alle gleich behandeln, sondern dafür sorgen soll, dass die vorherigen Einkommensunterschiede sich fortsetzen; dass also jemand, der früher viel verdiente, auch in der Arbeitslosigkeit viel Unterstützung vom Staat erhält, während derjenige, der bereits früher wenig verdiente, auch in der Arbeitslosigkeit vom Staat entsprechend viel weniger erhält.
Unabhängig von der Frage der konkreten Ausgestaltung ist die Zusammenlegung ein richtiger Schritt.
2. Die Kritik gegen Hartz IV richtet sich denn auch vor allem gegen die Ausgestaltung, gegen die Höhe von ALG, gegen die Zumutbarkeitsregelungen, gegen die Regelungen bei Bedarfsgemeinschaften, Anrechnung des Partnereinkommens, Anrechnung von Alterssicherungsvermögen etc. etc.
Diese Kritik wurde auch von Herrn Ströbele formuliert. Mit anderen grünen Abgeordneten hat er die Kritik auch dem Kanzler vorgetragen und gefordert, dass wenigstens die gröbsten Härten, wie z.B. die Zumutbarkeit jeder Arbeit, aus dem Gesetzentwurf entfernt werden. Dies ist tatsächlich im Verlauf der Beratungen zunächst auch geschehen. So wurde die Zumutbarkeit von Arbeit an tarifliche, oder wo kein Tarif vorliegt, an "ortsübliche" Löhne gebunden. Im Vermittlungsausschuss zwischen Bundesrat und Bundestag wurden dann aber auf Druck der CDU diese Punkte wieder in den Gesetzentwurf hineinverhandelt. Deshalb hat Herr Ströbele dann in der entscheidenden Abstimmung am 19.12.2003 gegen das Gesetz gestimmt.
Nun zu ihrer ersten Frage:
"Warum ist aus Ihrer Sicht die Schere zwischen Arm und Reich in 7 Jahren Rot-Grün größer geworden?"
Zunächst einmal muss man feststellen, dass im Kapitalismus grundsätzlich eine Tendenz zu wachsender Ungleichheit besteht. Diese muss durch Umverteilung ein Gegengewicht erfahren. Die Antwort auf Ihre Frage lautet also, "weil zu wenig umverteilt worden ist".
Herr Ströbele hat durchgängig stärkere Umverteilung gefordert. Übrigens steht er mit dieser Ansicht nicht allein, es gab an der Basis immer wieder Beschlüsse, z.B. die Vermögensteuer verfassungskonform wieder einzuführen.
Herr Ströbele hat sich, nachdem sein entsprechender Antrag auf dem Parteitag mit Mehrheit angenommen wurde, der Partei verpflichtet gefühlt und - obwohl kein Steuerfachmann - ein Konzept für eine verfassungskonforme Vermögensteuer entworfen. Man muss allerdings deutlich sagen, dass auf Regierungsebene kein besonderer Wille zur Umsetzung solcher Konzepte zu sehen war, da der ökonomische Mainstream niedrige Steuern als wirtschaftstimulierendes Heilmittel gegen die Arbeitslosigkeit ansieht. Herr Ströbele wird sich auch in Zukunft für eine deutlich stärkere Umverteilung einsetzen, sie ist nicht nur sozialpolitisch, sondern auch ökonomisch sinnvoll.
Mit freundlichen Grüssen
Dietmar Lingemann
Wiss. Mitarbeiter MdB Ströbele