Frage an Hans-Christian Friedrichs von Gregor E. bezüglich Verbraucherschutz
Sehr geehrter Herr Friedrichs,
Sie sprachen in einer früheren Antwort von Politikverdrossenheit. Ich halte diese Einschätzung für richtig und sehe die Gründe dafür in unserem heutigen parlamentarischem System. Bei Begriffen wie "Parteisoldat", "Fraktionsdisziplin", "Lobbyarbeit" usw. graut es mich gewaltig. Die Inschrift "Dem deutschen Volke" empfinde ich persönlich in der heutigen Zeit als Hohn. Volksentscheide finde ich daher gut. Doch ist direkte Demokratie wenig praktikabel in solchen Dimensionen wie ein 80Mio-Staat. Also bleibt das Parlament ein wichtiges Organ. Doch dieses dient, so haben viele das Gefühl, dem Selbstinteresse der Parteien, dem Machterhalt, ob als (Mit-)Regierung oder als Lobby-Oppositioneller. Soviel zu meiner Motivation für diese Fragen:
1. Wie sehen sie die Stellung eines Bundestagsabgeordneten im Parlament? ist er ein Parteisoldat, oder ein Sprachrohr seiner Wähler? Muss er sich der Fraktion beugen oder dem Willen der Mehrheit in seinem Kreis? ist eine so genannte "handlungsfähige Mehrheit" im Parlament höher anzusiedeln als moralische, ethische und soziale Verpflichtungen?
2. Sollte das Wahlrecht in Deutschland reformiert werden? Dass das Volk grade die hälfte des Bundestags direkt wählt, aber weder Einfluss darauf hat, wer in der anderen Hälfte reinrutscht, noch überhaupt eine der wichtigsten Posten wie Kanzler, Präsident oder Bundesrichter beeinflussen kann ist für viele mit ein Grund für die Verdrossenheit.
3. Ist eine 51%-Mehrheit legitimiert wenn sie von grade mal 25% der Wahlberechtigten gewählt wurde, während über 50% der Wähler gar nicht wählen gegangen sind? Ich finde, dass die Wahlbeteiligung als Faktor auch rechtliches Gewicht bekommen sollte, und nicht bloss ein statistisches Mittel. Was meinen Sie dazu?
4. Wahlkampf: sollten die Parteien angehalten werden (per Gesetz?) keinen Wahlkampf ohne Themen-Aussagen zu führen, das Gesicht von Frau Merkel, oder Ihres, sagt mir nicht, was sie erreichen will.
Vielen Dank
G. Elke
Guten Tag Herr Elke,
vielen Dank für Ihre ausführlichen Fragen.
Zu 1.
Begriffen von „Parteisoldat“ bis „Fraktionszwang“ fühle ich mich wenig verbunden, viel mehr dagegen den WählerInnen, Wählern und Parteimitgliedern. Der Kreisverband Harburg hat mich in einer Kreismitglieder- und Wahlversammlung nach Vorstellung und Bewerbung zum Kandidaten für den Wahlkreis Harburg gewählt und damit seine Zustimmung für meine Positionen und Schwerpunktthemen signalisiert. Diesen Parteimitgliedern - der Kreismitgliederversammlung -, dem höchsten basisdemokratischen Gremium fühle ich mich daher in besonderer Weise verpflichtet. Auch unsere WählerInnen wählen uns in der Erwartung, dass wir uns für die in unserem Wahlprogramm definierten Ziele einsetzen werden. Daher ist es für mich selbstverständlich, mich insbesondere in Fragen, die nicht zu meinen Schwerpunktthemen gehören, am Wahlprogramm und damit nach meiner Auffassung am WählerInnenwillen zu orientieren. Basisdemokratischen Prozessen stehe ich aufgeschlossen gegenüber.
So z. B. beim Afghanistan-Sonderparteitag im September 2007, wo die Basis der Bundestagsfraktion eine klare „Empfehlung“ für die Bundestagsabstimmung gegeben hat, die von vielen grünen Abgeordneten auch beherzigt wurde. Wenn sich einzelne Abgeordnete in solch existenziellen Fragen aber auf ihr Gewissen berufen, habe ich auch dafür volles Verständnis. Ich ärgere mich darüber, wenn in anderen Parteien umweltpolitisch engagierte Abgeordnete ihre Positionen hinter dem so genannten „Fraktionszwang“ zurückstellen müssen. Ihre Wählbarkeit entscheidet sich dann doch letztlich an der praktischen Umsetzbarkeit ihrer Ziele. Wenn sie sich wegen solcher Zwänge selbst im Weg stehen, kann man sich die Stimme auch schenken.
Zu 2.
Unsere indirekte Demokratie hat sich im Prinzip in den letzten Jahrzehnten bewährt und als stabil erwiesen. Deshalb sollten Veränderungen an diesem System nur mit äußerster Zurückhaltung und Vorsicht durchgeführt werden. Ich befürworte Volksentscheide und Volksbegehren, wie sie etwa in der Schweiz praktiziert werden. Die Hürden für eine direkte Partizipation des Volkes liegen hierzulande einfach zu hoch. Ich halte es auch für unschädlich, die KanzlerIn aufgrund ihrer ohnehin eher beschränkten Macht und Befugnisse direkt zu wählen, ebenso die BundespräsidentIn. Bei BundesrichterInnen bin ich allerdings unschlüssig. Wenn Sie die Politikverdrossenheit ansprechen, so muss diese doch vom direkten Lebensumfeld her aufgebrochen werden. Wir brauchen dringend einen Motivationsschub, sich im Gemeinwesen und in der Kommunalpolitik zu engagieren und das insbesondere bei der Jugend, sonst geraten wir in eine Situation, in der eine Altersgruppe über Breitbandverkabelung, die Gestaltung der Schulen oder die Jugendarbeit entscheidet, die mit der Materie nur noch herzlich wenig zu tun hat.
Zu 3.
Genau genommen haben sich dann ja 50 Prozent der Bevölkerung enthalten und sagen „ist mir egal“. Eine Enthaltung wird naturgemäß wie „Ja“ gewertet. Insofern kommt es bei Abstimmungen ja oft zu „einstimmigen“ Ergebnissen, obwohl sich eine große Menge Stimmberechtigter, ggf. sogar die absolute Mehrheit, enthalten hat. Nehmen sie die Präsidiumswahlen der IHK. Ich muss gestehen, dass ich dem IHK-Präsidium wegen einer unterirdisch geringen Wahlbeteiligung auch die demokratische Legitimation für alle Mitglieder zu sprechen, abspreche. Das hängt aber sicher auch damit zusammen, dass in der IHK jede Menge Zwangsmitglieder organisiert sind, die diese Organisation insgesamt ablehnen. Der Vergleich zu beispielsweise Bundestagswahlen hinkt also etwas. Ich finde Ihren Gedankengang interessant, will mich da aber nicht festlegen, da ich noch nicht sehe, wie die rechtliche Gewichtung der Wahlbeteiligung konkret umsetzbar wäre. Letztlich sind wir schon wieder bei Politikverdrossenheit, an deren Abbau wir durch Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und Transparenz arbeiten müssen. Auch am vergangenen Wochenende wurde ich auf einigen Wahlständen mit der Thematik konfrontiert, insbesondere mit vielen pauschalen, teilweise auch konkreten Vorwürfen, die ich mir allerdings nicht zueigen machen kann, da ich ja mit genau den Vorsätzen antrete, die beanstandeten Mängel nicht einreißen zu lassen.
Zu 4.
Nein. Wer einen Wahlkampf ohne Themen macht, ist selber Schuld und braucht nicht noch für seine Dummheit bestraft zu werden. Die Grünen haben sich irgendwann entschlossen, neben den wichtigen Themenplakaten auch Kopfplakate zu verwenden und ich finde das auch richtig. Es ist wichtig für uns und die anderen Parteien, dass die WählerInnen mit einem Namen auch ein Gesicht assoziieren oder umgekehrt. Gerade für relativ unbekannte BewerberInnen, die vielleicht in den Medien wenig berücksichtigt werden, sind Kopfplakate eine gute Möglichkeit, in gewissem Maße auf sich aufmerksam zu machen. Die Kunst liegt nun darin, es nicht zu übertreiben, und die Menschen weder zeitlich noch quantitativ zu überfrachten (vgl. „na na na…“). Kopfplakate sind aber nur eine Baustein der Wahlwerbung. Sie haben so viele Möglichkeiten sich über Inhalte zu informieren, z. B in der direkten Kommunikation über „kandidatenwatch.de“. Wenn Frau Merkel mit ihrer CDU und ihrem sicherlich üppig besetzten Wahlkampfteam nicht Willens ist, von den bisher 55 Fragen nur eine einzige zu beantworten, spricht das doch für sich und ich muss gestehen, dass mich - als emotionalem Menschen - diese Ignoranz auch ärgert.
Mit besten Grüßen
Hans-Christian Friedrichs