Frage an Hans-Christian Friedrichs von Mierke P. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Friedrichs,
grundsätzlich finde ich beim Wahlprogramm der Grünen die größte Übereinstimmung
zu meiner persönlichen Einstellung.
Ich vermisse aber im Grunde bei allen Parteien, damit auch bei den Grünen, die
Auseinandersetzung mit der Fehlentscheidung der Einführung von Hartz IV und dem damit entstandenen Lohndumping.
Wie viele andere, habe ich Angst vor der Arbeitslosigkeit. Ich bin 45 Jahre und sehe für mich im Falle der Arbeitslosigkeit keine großen Chancen, wieder eine Stellung mit gleicher Anforderung und mit gleichem Gehalt zu finden.
Hartz IV wäre damit für mich der Anfang des sozialen Abstiegs, obwohl ich seit beginn meiner Ausbildung bis heute immer in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt habe.
Es gibt inzwischen so viele Menschen, die diese Abwärtsspirale durchleben mußten.
Wieso beziehen die Grünen nicht viel stärker Position? Die Forderung des Mindestlohns
ist doch nur ein kleines Stück dieses generellen Problems.
Ich bedanke mich schon heute für Ihre Antwort.
Viele Grüße
Liebe Frau Mierke,
sehr interessant, was Sie da schreiben.
Wer arbeitet, muss von seinem Einkommen leben können. Mindestlöhne sind notwendig, um Lohn-Dumping Einhalt zu gebieten. Da sind wir doch schon mal einer Meinung, oder?
Ich nenne Ihnen aber noch einige Punkte:
Progressiv-Modell: Für Menschen mit geringen Einkommen gibt es zwar geringere Steuersätze, aber keine vergleichbaren Regelungen bei den Beitragssätzen zur Sozialversicherung. Das ist ungerecht und ein Grund für das hohe Armutsrisiko von Geringverdienenden. Konkret wollen wir die Abgaben bei einem Einkommen von z. B. 1000 Euro auf 14 Prozent für Arbeitgeber und Arbeitnehmer absenken.
Regelsätze für Erwachsene und Kinder - die Teilhabe sichern: Der Regelsatz für Erwachsene soll in Zukunft 420 Euro betragen. Dieser Betrag orientiert sich an einem Gutachten des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Dieser Betrag muss in einem transparenten Verfahren unter Beteiligung der Wohlfahrtsverbände regelmäßig angepasst werden. Der Bedarf von Kindern muss eigenständig ermittelt, die Regelsätze müssen ebenfalls angehoben werden. Notwendig sind Regelsätze für Kinder und Jugendliche, die ihren tatsächlichen entwicklungsbedingten Bedarf decken.
Wir setzen uns für eine Kindergrundsicherung ein, die jedes Kind entsprechend seiner individuellen Bedürfnisse fördert - damit jedes Kind, egal welcher Herkunft, eine Zukunft bekommt. Mit der Kindergrundsicherung wollen wir Leistungen der Ehe- und Familienförderung bündeln und auf die Kinder konzentrieren. Für alle Kinder soll, unabhängig von der Familienform, das Existenzminimum gesichert werden.
Jetzt könnte ich so weiter machen und Ihnen das halbe Wahlprogramm aufzählen, aber ich glaube, damit wäre Ihnen wenig gedient.
Ich glaube, vor der Einführung des ALG II – „Hartz IV“ ist doch längst ein Unwort – war die Situation und die Lebensqualität von Betroffenen auch nicht besser als heute. Es gibt aber Konstrukte, wie die Ein-Euro-Jobs, die zugehörigen Job-Center und die Organisation der Arbeitsvermittlung selbst, denen ich sehr skeptisch gegenüber stehe. Ein-Euro-Jobs haben doch ihr Ziel der Reintegration in den ersten Arbeitsmarkt und der Vermittlung eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses verfehlt. Die zur Vermittlung und Verwaltung vorgesehenen Finanzmittel sind bei den ARGEN und den Job-Centern letztlich falsch angelegt und fehlen den Aufgabenträgern, wie beispielsweise Kommunen und Schulen für die dauerhafte Weiterbeschäftigung von MitarbeiterInnen.
Die Arbeits- und Sozialpolitik ist nicht mein Spezialgebiet, ich habe aber vollstes Vertrauen in die ExpertInnen unserer Partei, insbesondere zu Brigitte Pothmer, unserer niedersächsischen Spitzenkandidatin und arbeitsmarktpolitischen Sprecherin der Bundestagsfraktion.
Auch ich bin wie Sie 45 Jahre alt und stelle fest, dass wir bzgl. unserer Wahrnehmung der sozial- und arbeitsmarktpolitischen Situation großenteils im selben Boot sitzen. Wenn Sie mögen, kontaktieren Sie mich dazu doch einfach mal direkt, z. B. per Telefon.
Beste Grüße
Hans-Christian Friedrichs