Frage an Hans-Christian Friedrichs von Thilo C. bezüglich Verkehr
Sehr geehrter Herr Friedrichs,
der Güterumschlag im Hamburger Hafen wird in den nächsten Jahren erheblich zunehmen, manche Prognosen sagen eine Verdoppelung in 15 bis 20 Jahren voraus. Das Straßen- und Schienennetz im Hamburger Umland - vor allem südlich der Stadt - stößt schon jetzt an seine Kapazitätsgrenzen. Auf welche Art und Weise soll der zunehmende Güterverkehr (Hafen-Hinterlandverkehr) bewältigt werden, ohne dass die Klimaschutzziele der Bundesregierung torpediert werden: durch Neubau von Straßen und Schienenstrecken, durch den Ausbau vorhandener Verkehrswege oder durch die Reaktivierung stillgelegter Bahnlinien? Kann hier auch Verkehrsvermeidung eine Rolle spielen?
Mit freundlichen Grüßen
Thilo Clavin
Hallo Herr Clavin,
vielen Dank für Ihre Frage zur Verkehrspolitik.
Verkehrsvermeidung ist für viele eine unbekannte Vokabel. Es geht immer nur darum, den bestehenden und prognostizierten Verkehr innerhalb seines Systems so gut wie möglich zu bewältigen. Existiert eine Schätzung, dass der Verkehr auf der einer Bundesstraße in den nächsten Jahrzehnten zunimmt, dann folgt daraus, zumindest diese Straße auszubauen oder sogar dass eine Autobahn zu planen sei. Dass zur Erreichung der Klimaschutzziele der Bundesregierung auch Taten – insbesondere im Bereich der Mobilität – notwendig sind, wird von den Regierungsparteien und der FDP gern ignoriert oder bestenfalls mit Feigenblatt-Aktivitäten gewürdigt. Verkehr und damit den CO2-Ausstoß zu vermeiden, spielt dabei keine Rolle, im Gegenteil – Bewegung von Menschen und Gütern wird immer noch mit Wirtschaftswachstum, der Schaffung und dem Erhalt von Arbeitsplätzen gleichgesetzt, Zusammenhänge die nicht mehr zeitgemäß sind.
Die steuernde Verlagerung von Verkehr auf alternative und umweltschonende Verkehrsträger, beispielsweise von der Straße auf die Schiene, wird ebenfalls nur stiefmütterlich betrieben, wenn überhaupt. Die langfristige Daseinsfürsorge für den Erhalt eines intakten Schienennetzes zur Bewältigung dieser Aufgabe findet nicht statt.
Auch bei der Arbeit als stellvertretender Landesvorsitzender des VCD Verkehrsclub Deutschland liegen meine Prioritäten ganz klar in der Reihenfolge 1. Verkehr vermeiden, 2. Verkehr verlagern und 3. Effizienz steigern.
Konkret zum Seehafenhinterlandverkehr: Politik muss hier steuernd eine Verlagerung von der Straße auf die Schiene und wo es ökologisch vertretbar ist auch auf die Binnenwasserstraßen betreiben. Dazu ist der Erhalt und teilweise der Ausbau des bestehenden Bahnnetzes notwendig, ökologisch und ökonomisch sinnvoll. An vielen Stellen ist auch die Reaktivierung von bereits stillgelegten Bahnstrecken, beispielsweise zwischen Niedersachsen und seinen östlichen Nachbarn machbar und notwendig. Ich spreche mich für ein intaktes und dichtes Bahnnetz aus, auf das die Belastungen des Güterverkehrs aus den Seehäfen verteilt werden, eine einseitige Inanspruchnahme weniger, beispielsweise auf der OHE-Strecke durch die Lüneburger Heide darf es nicht geben. Gleichzeitig ist die Auslastung dieses Netzes hinsichtlich eines attraktiven und vertakteten Schienepersonennahverkehrs (SPNV) zu optimieren. Ich spreche mich gegen den einseitigen Ausbau weniger Hauptstrechen aus. Er trüge nicht zur Stärkung der Bahn in der Fläche bei. Die Verlagerung des Bahnbetriebs auf die bekannten Hauptachsen erhöht zudem das Ausfallrisiko durch unvorhergesehene Zwischenfälle. So hätte beispielsweise ein Oberleitungsschaden auf einer wichtigen Hauptstrecke viel weiterreichende Folgen für den Fern- und Nahverkehr sowie den Güterverkehr als bei einem intakten dichten Bahnnetz mit verschiedenen Alternativstrecken.
Insgesamt betrachte ich die anvisierte Anzahl an Containern aber als wesentlich weniger gravierend, als sie noch vor einem Jahr vorhergesagt wurde. Die Wirtschafts- und Finanzkrise ließ den Containerumschlag teils dramatisch einbrechen, was dazu führt, dass es mehrere Jahre dauern wird, um den gleichen Stand zu erreichen wie etwa Anfang 2008. Ob sich dann die bislang prognostizierten Steigerungsraten wieder einstellen werden ist ebenfalls fraglich. Diese plötzliche Veränderung im Seehafenhinterlandverkehr gibt der Politik die Chance, keine überstürzten Entscheidungen treffen zu müssen und zukunftsorientiert im Sinne einer umwelt- und wirtschaftsfreundlichen Lösung zu handeln.
Um Ihre Frage abschließend zu beantworten, der Neubau von Autobahnen zur Bewältigung des Seehafenhinterlandverkehrs wäre der falsche Weg. Auch die Logistikbranche bevorzugt schon heute im Containertransport ab einer bestimmten Entfernung die Schiene.
Verkehrsvermeidung beginnt in vielen Bereichen des täglichen Lebens. So können Verbraucherinnen und Verbraucher bei jedem Einkauf darauf achten, was in den Einkaufswagen kommt. Der Honig aus Uelzen statt aus Südamerika, der Frischkäse aus Fallingbostel statt aus dem Allgäu und das Wasser aus Lüneburg oder noch besser aus der Leitung statt aus Frankreich, um nur wenige praktische Beispiele zu nennen, wo Verkehrsvermeidung möglich ist. Das Zauberwort heißt also Regionalisierung.
Mit freundlichem Gruß
Hans-Christian Friedrichs