Frage an Gustav Herzog von Rainer B. bezüglich Bundestag
Lieber Genosse Gustav,
deine Ausführungen in der Rheinpfalz zum Thema "Lobbysmus im BT" haben nich nur mich, sondern etliche Genossen entsetzt.
Du schreibst, unmissverständlich, dass Abgeordeneauf ExternesExpertenwissen bei ihrer Entscheidungsfindung angeiesen sind. Das kann ich akzeptieren, wenn mit deiner Aussage das externe Wissen von "Experten" bei deiner Entscheidungsfindung gemeint ist.
Insofern unterstelle ich dir wohlwollend, dass es sich bei deiner Äußerung lediglich um eine Begriffsverwechlung handelt.
Das sollter in der Öffenlichkeit allerdings richtig gestellt werden.
Aber unabhängig davon werfe ich die Frage auf, warum der Deutsche Bundestag einen wissensachaftlichen Dienst unterhält, wenn man trotzdem auf den externen Rat von "Experten" zurückgreifen muss.
Du wirst mir darauf sicherlich eine Antwort geben.
Ansonsten möchte ich mal ausdrücklich deinen Fleiß erwähnen, da du alle bisher gestellen Fragen in diesem Plenum zu beantwortet hast.
Herzliche Grüße und bleibe gesund!
Rainer
Lieber Rainer Böhm,
herzlichen Dank für deine Frage und das Lob für meinen Bürger:innendialog hier bei Abgeordnetenwatch.
Die Frage, wie wir im Bundestag und in der Bundesregierung mit den s. g. Lobbyisten umgehen ist vollkommen zurecht im Blickpunkt der Medien und der Öffentlichkeit. So empörend der aktuelle Anlass („Maskenaffäre“ in der CDU/CSU) ist, so positiv sind die Impulse zu bewerten, die dadurch jetzt in der Sache gegeben werden. Das Thema Lobbyregister und Transparenzregelungen wurde viel zu lange von der Union verschleppt und verschoben. Jetzt geht es endlich in der richtigen Richtung voran: Das bald kommende Lobbyregister sorgt für Transparenz und macht Einflussnahme nachvollziehbar. Lobbyist:innen, die sich mit Vertreter:innen von aus Bundestag und Bundesregierung treffen möchten, müssen sich zukünftig in diesem öffentlich einsehbaren Register eintragen. Neben Informationen zu den jeweiligen Auftraggeber:innen müssen u. a. finanzielle Zuwendungen offengelegt werden. Das ist ein riesiger Schritt hin zu mehr Transparenz, um zu verhindern, dass aus nützlichem Lobbyismus schädliche Korruption wird. Gegen einen so genannten „exekutiven Fußabdruck“, also die Nachvollziehbarkeit, welche Lobbyist:innen wie und wo Einfluss auf Gesetzesvorhaben zu nehmen versuchen, wehrt sich die Union leider weiterhin. Trotz des öffentlichen Drucks bin ich aber skeptisch, ob wir diesen Widerstand noch in dieser Wahlperiode brechen können. Sicher ist aber, dass unter einem Bundeskanzler Olaf Scholz auch dieser Schritt gemacht werden wird.
In deiner Frage beziehst du dich auf einen Beitrag in der RHEINPFALZ, in dem ich ganz richtig dahin gehend zitiert werde, dass insbesondere für meine fachpolitische Arbeit der persönliche Austausch mit externen Experten wichtig ist. Warum ist das so und wer sind diese Expert:innen? In dem Artikel und in einem noch ausführlicheren Beitrag auf meiner Homepage http://www.gustav-herzog.de/meine-arbeit-und-das-lobbyregister/ erläutere ich schon einiges anhand meiner Arbeit rund um das Telekommunikations-Modernisierungs-Gesetzes, für das ich federführend für die SPD im Ausschuss zuständig bin.
Ich möchte aber zur Beantwortung deiner Frage gerne noch Beispiele nennen, die Nutzen und Risiken der Zusammenarbeit mit externen Expert:innen noch deutlicher machen:
Nehmen wir theoretisch das Thema „Verbesserungen der Arbeitsbedingungen und Lohnstrukturen für Pflegekräfte in Pflegeeinrichtungen“. Wäre ich Gesundheitspolitiker mit inhaltlicher Zuständigkeit für die stationäre Pflege, so würde ich natürlich das Gespräch mindestens mit folgenden Akteuren suchen: 1. Den Beschäftigten und ihren Betriebsvertretungen in Einrichtungen in meinem Wahlkreis oder anderswo (z. B. Modellprojekten) 2. Den Gewerkschaften wie ver.di auf Landes- und Bundesebene 3. Den Trägern von Einrichtungen, ihren Dachverbänden und Arbeitgeberverbänden.
Ich gehe davon aus, dass es auch aus deiner Sicht unstrittig ist, dass ich mit Gruppe 1 und 2 reden müsste, um mir kompetent ein Bild von der Lage zu machen. Mir scheint nun, dass die Kritik sich wenn überhaupt auf Gruppe 3 bezieht. Aber warum? Wie soll ein Abgeordneter Problemstellungen umfassend und seriös erkennen und bearbeiten, wenn für das Gesamtbild der Situation und möglicher Lösungen nur eine Seite der Medaille „gut“ ist und die andere „böse“, weil „interessengeleitet“ ist? Anmerkung am Rande: Auch die Position von Gewerkschaften und anderen NGOs sind interessengeleitet. Ich sage jedenfalls ganz klar: Wer als Fachpolitiker:in nur mit Gruppe 1 und 2 spricht, macht einen schlechten Job. Genauso wie jemand, der/die nur mit Gruppe 3 spricht, also nur die Interessen der Arbeitgeber im Blick hat. Wesentlich ist doch, dass Bürgerinnen und Bürger ein Recht darauf haben zu erfahren, ob und mit wem „ihr“ Mitglied des Bundestages sich einseitig oder eben umfassend berät und vor allem, ob dabei Vorteilsnahme im Spiel ist.
Ähnliches gilt übrigens auch für Experten aus der Wissenschaft bzw. ihre Studien, die von den Ausschüssen des Bundestages und einzelnen Abgeordneten konsultiert werden. Auch hier ist nicht immer das große Ideal der völligen Neutralität gegeben. Studien werden ja meist nicht „einfach so“ gemacht, sondern haben Auftraggeber aus der Wirtschaft oder von Verbänden. Schaut man sich die Studie einer Uni zu einem bestimmten Thema an, so sollte man sich auch da für die Transparenz interessieren, wer mit welcher Fragestellung die Studie in Auftrag gegeben hat! Also auch an diesem Punkt Vorsicht vor dem Pauschalurteil „Verbandsvertreter=schlechter Experte / Professor XY=guter Experte“!
Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages sind eine wertvolle Ergänzung, ersetzen aber nicht die Anhörung von Erfahrungen und Einschätzungen aus der Praxis. Expertise beschränkt sich schließlich nicht allein auf theoretisch-akademische Kenntnisse. Ohne die Arbeit der Kolleg:innen in den Wissenschaftlichen Diensten in irgendeiner Weise kleinreden zu wollen – wie ich "Alternative Verlegemethoden beim Glasfaserausbau" bewerte, kann die Elektroinstallateurin mit Tiefbauerfahrung im Zweifelsfall besser einschätzen als der Volljurist. Aus diesem Grund ist die Anhörung von praktischer Expertise im Gesetzgebungsprozess mindestens ebenso wichtig wie die theoretische Einschätzung.
Der Ausschluss praktischer Expertise aus dem Gesetzgebungsverfahren kann in niemandes Interesse sein, er entspricht schon gar nicht meinem Politikstil. In meinen Zeiten der Verkehrspolitik hatte ich immer Sicherheitsschuhe, Schutzhelm und Warnweste im Auto. Keine Baustelle war vor sicher und mein Respekt vor der Leistung unseres LBM und der Bauleute ist enorm gewachsen. Dazu hörte auch das Gespräch mit dem Bauleiter und der Geschäftsführung. So entsteht ein rundes Bild.
Abschließend noch ein Aspekt: Ich und die allermeisten meiner Kolleg:innen sind intelligent und erfahren genug, um externe Stellungnahmen richtig bewerten und einordnen zu können. Das Bild vom MdB als „Marionette“ von Lobbyisten ist daher vollkommen an der Realität vorbei. Die "schwarzen Schafe" machen ihre Geschäfte ganz bewusst, die müssen nicht beeinflusst werden.
Herzliche Grüße
Gustav