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Gustav Herzog
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Frage von Stefan R. •

Frage an Gustav Herzog von Stefan R. bezüglich digitale Infrastruktur

Sehr geehrter Herr Herzog,
danke Ihnen für Ihre rasche Antwort!

Sie schreiben, dass Sie Gemeinden eine Chance geben würden, sich vor dem Mobilfunkausbau zu befreien, sofern sie dies demokratisch beschließen, vorausgesetzt die Versorgung für Sicherheits- und Rettungsdienste und Notruf ist sichergestellt, indem Sie "keinen Druck auf die Telekommunikationsunternehmen ausüben, die 'weißen Flecken' mit öffentlichem Mobilfunk zu versorgen".

Wie stellen Sie sich die Realisierung vor? Ist Ihnen bewusst, dass eine gemeindliche Verhinderungsplanung von den Netzbetreibern im Regelfall nicht akzeptiert wird?

Gemeinden, die sich "weiße Flecken" wünschen, sind hilflos. Angesichts der auch gerichtlich festgestellten fehlenden Vorsorgekomponente unserer Grenzwerte wäre die Umsetzung des Minimierungsgebotes wichtig, kann aber vielerorts gar nicht optimal erfolgen.
Somit bitte ich Sie, meine initialen Fragen doch noch zu beantworten:
Wie stehen Sie zu der Idee, dass sich Regionen und Gemeinden für Erhalt und Etablierung strahlungsarmer Zonen bewerben können? Analog wie bei "Luftkurort" und dem "Bad"-Status, (oder analog zur Option auf Bahnreisen für Handy- oder Ruhe-Abteil)? Wäre es nicht sogar noch wichtiger, insbesondere für reine Wohngebiete eine derartige Option vorzusehen, die den Gemeinden Vorrang gegenüber den Netzbetreibern gibt?
Besteht inzwischen ein Bewusstsein dafür, dass solche weißen Zonen einen starken Wertzuwachs erfahren werden, wegen ihrer extremen Seltenheit und dem steigenden Bedarf (von Elektroallergikern wie auch von erholungs-suchenden Menschen) ?
Könnte man nicht sogar von einem neuen Wertschöpfungspotential sprechen, angesichts der zunehmenden Knappheit solcher weißen Flächen, und einen Nachfrage-Boom in der Zukunft antizipieren?

mit freundlichen Grüßen

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Reich,

vielen Dank für Ihre Nachfrage zu meiner Antwort vom 18. August.

Die flächendeckende Versorgung mit leistungsfähigen Zugängen zum Internet über Glasfaser oder LTE/5G ist der Wunsch der großen Mehrheit unserer Bevölkerung und nach meiner Kenntnis Programmatik aller politischen Parteien im Bundestag. Die Anbindung über Glasfaser oder Kabel ist wohl auch bei Ihnen unstrittig.

Die Versorgung mit öffentlichem Mobilfunk erfolgt insbesondere aus zwei Gründen:

Zunächst ist das eigenwirtschaftliche Interesse der Mobilfunknetzbetreiber (MNO), ihren Kunden eine flächendeckende Versorgung mit attraktiven Leistungsdaten zu ermöglichen, zu nennen.
Zweitens gibt es darüber hinaus die Versorgungsauflagen aus den Versteigerungen der Funkfrequenzen durch die Bundesnetzagentur auf der Grundlage des Telekommunikationsgesetzes.
Bei einer Kommune, in der die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger – und damit auch der potenziellen Kundinnen und Kunden – keinen Mobilfunk nutzen möchte, ist das eigenwirtschaftliche Interesse wahrscheinlich eher gering. Ob die MNO unter diesen Bedingungen den Rechtsweg beschreiten werden, um den Standort und eine Baugenehmigung zu bekommen, bleibt eine unternehmerische Entscheidung.
In der Versorgungsauflage 2019 (Bundesnetzagentur Präsidentenkammerentscheidung BK-17-001) wird ausgeführt, dass die Auflage nur gilt, sofern der Netzausbau gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit rechtlich und tatsächlich möglich ist. Rein spekulativ kann ich mir vorstellen, dass eine umfassende „gemeindliche Verhinderungsplanung“ – wie Sie es formuliert haben – eine Ausnahme von der Versorgungspflicht darstellen könnte und daraus resultierende Versorgungslücken dementsprechend nicht den MNO anzulasten wäre.

In dem Moment, in dem eine solche „gemeindliche Verhinderungsplanung“ erfolgreich war, würde sich ja Ihre Frage nach einer Art Bewerbung für mobilfunkfreie Zonen erübrigen. Andernfalls kann ich nur wiederholen, dass für die so folgenreiche Entscheidung einer Gemeinde, gänzlich auf eine Mobilfunkversorgung zu verzichten, demokratisch legitimierte Beschlüsse benötigt werden. Auf die unverzichtbare Mobilfunkversorgung für die Sicherheits- und Rettungskräfte hatte ich in meiner vorigen Antworten bereits eindeutig hingewiesen.

Gerne möchte ich etwas ausführlicher auf das Urteil des V. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 13.02.2004 (V ZR 217/03) eingehen, auf das Sie – wie ich annehme – in Ihrem Hinweis auf die „gerichtlich festgestellte fehlende Vorsorgekomponente unserer Grenzwerte“ Bezug nehmen. Der BGH überprüfte hier letztinstanzlich das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main, welches die Unterlassungsklage der Inhaberin einer psychotherapeutischen Praxis gegenüber der Betreiberin einer nahe gelegenen Mobilfunksendeanlage abgewiesen hatte. Unter folgendem Link können Sie das Urteil noch einmal nachvollziehen: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=28608&pos=0&anz=1

Wie von Ihnen richtig dargelegt, bestätigt der BGH, dass die 26. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, in welcher die Grenzwerte für elektromagnetische Strahlung geregelt sind, „keine Vorsorgekomponente enthält“. Aus dieser Feststellung allerdings darauf zu schließen, dass die bestehenden Grenzwerte keine Schutzwirkung aufweisen, ist eine grob verkürzte, ja sogar falsche Darstellung. Schließlich ignorieren Sie den gesamten Rest des sehr ausführlichen Urteils, welches in seiner Gesamtheit ein bedeutend anderes Bild zeichnet.

Direkt anschließend an den Hinweis der fehlenden Vorsorgekomponente führt der BGH weiter aus: „Wenn [das Berufungsgericht] gleichwohl meint, die Verordnung habe auch ‚Vorsorge‘ gegen schädliche Umwelteinwirkungen durch elektromagnetische Felder getroffen, soweit es um athermische Effekte geht, bedeutet das nicht, dass [sic] ein Vorsorge- (d.h. Sicherheits-) Faktor eingerechnet sei, sondern daß [sic] die Verordnung auch Schutz vor athermischen Wirkungen gewährleisten soll.“

Übersetzt aus dem etwas hölzernen Jurasprech heißt das, dass die Grenzwert-Verordnung durchaus dem Vorsorgeprinzip entspricht. Lediglich zusätzlich einzurechnende Sicherheitsfaktoren für bestimmte Bevölkerungsgruppen oder spezielle Umstände sind in der Verordnung nicht vorgesehen. Das hat den lobenswerten Grund, dass der Basisgrenzwert bereits um das 50-fache niedriger als die biologische Wirkungsschwelle angesetzt ist. (Die biologische Wirkungsschwelle liegt bei 4 Watt pro Kilogramm Körpergewicht. Bei einer Strahlungsexposition in dieser Höhe über einen Zeitraum von 30 Minuten steigt die Körpertemperatur um ein Grad Celsius. Erst ab dieser Erwärmung können erste körperliche Auswirkungen auftreten.) Der Basisgrenzwert ist also bereits so niedrig angesetzt, dass alle möglichen Risikogruppen selbst unter allen denkbaren negativen Umwelteinflüssen effektiv vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch elektromagnetische Strahlung geschützt sind. Zusätzliche individuelle Sicherheitsfaktoren sind somit nicht notwendig, da für alle Widrigkeiten vorgesorgt ist.

Der BGH bestätigt weiterhin, dass die festgelegten Grenzwerte „sowohl die thermischen wie die athermischen Effekte elektromagnetischer Felder“ berücksichtigen. Dass sich die Grenzwerte an der thermischen Wirkung orientieren, sei im Einklang mit den Empfehlungen der Strahlenschutzkommission darüber zu erklären, dass „thermisch bedingte Reaktionen bei geringeren Feldstärken eintreten als nachgewiesene athermische Reaktionen. Der Verordnungsgeber konnte sich daher auf die Bestimmung von Grenzwerten beschränken, die an thermischen Reaktionen anknüpfen; nachweisbare athermische Reaktionen waren so in jedem Fall miterfaßt [sic].“
Die Relevanz einer zusätzlichen Vorsorgekomponente wird wie folgt zusammengefasst: „[D]ie Berücksichtigung einer Vorsorgekomponente ist für die Frage, ob die Verordnung auch vor schädlichen athermischen Wirkungen schützen will, ohne Belang.“

Den Grund dafür, dass die Klage in allen Instanzen abgelehnt wurde, möchte ich an dieser Stelle auch deutlich betonen: Die Klägerin konnte keinerlei wissenschaftlichen Beleg dafür vorlegen, dass Zweifel an der Schutzwirkung der festgelegten Grenzwerte besteht, noch dass ein Verdacht auf gesundheitsschädliche Wirkungen elektromagnetischer Felder unterhalb dieser Werte besteht: „Daß [sic] aber unter den durch die 26. BImSchV gesetzten Grenzen im konkreten Fall ein Gefährdungspotential vorhanden ist, das nach neuestem Stand der Forschung als eine wesentliche Beeinträchtigung eingestuft werden müßte [sic], wird nicht einmal im Ansatz erkennbar.“
Ich kann also nur erneut hervorheben: Die geltenden Grenzwerte bieten nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen einen sicheren Schutz gegen gesundheitsschädliche thermische wie athermische Auswirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder und kommen dem Vorsorgeprinzip uneingeschränkt nach. Das Urteil des BGH hat dies nur zusätzlich gerichtlich bestätigt.

Angesichts dieser wissenschaftlichen Erkenntnislage sehe ich auch Ihre Aussage, „weiße Flecken“ würden einen starken Wertzuwachs erfahren, eher skeptisch. Meine langjährige Erfahrung als Wahlkreisabgeordneter besagt genau das Gegenteil: Ohne leistungsfähige Netzanschlüsse verlieren Standorte an Bedeutung und Wert. Darüber hinaus gilt meine Sorge der Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger. Inwiefern aus der infrastrukturellen Ausgestaltung einer Region wirtschaftlicher Profit geschlagen werden kann, zählt nicht zu meinen Prioritäten.

Ich hoffe, ich konnte Ihre Fragen zufriedenstellend beantworten.

Mit freundlichen Grüßen,

Gustav Herzog