Frage an Gustav Herzog von Gudrun W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Herzog,
eine kritische Zivilgesellschaft ist existenziell für eine lebendige Demokratie. Wer sich uneigennützig und im Rahmen des Grundgesetzes für Gerechtigkeit, Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie einsetzt, muss als gemeinnützig anerkannt werden. Daher würde ich gern von Ihnen erfahren, was Sie tun werden, um die Anerkennung der Gemeinnützigkeit bei attac, VVN/BDA, change.org, campact und anderen wichtigen Organen der kritischen Zivilgesellschaft zu schützen.
Mit freundlichen Grüßen,
Gudrun Witschetzky
Sehr geehrte Frau Witschetzky,
besten Dank für Ihre Frage und ihren Einsatz in der Zivilgesellschaft für eine lebendige Demokratie.
Die Frage der Gemeinnützigkeit ist in § 52 der Abgabenordnung einschließlich einer abschließenden Auflistung von 25 förderungswürdigen Aktivitäten normiert. Die Finanzämter regeln den Vollzug, ihre Entscheidungen können gerichtlich überprüft werden.
Nicht erst seit Attac wird über die Frage der Gemeinnützigkeit in der Bundespolitik diskutiert. Schon vorher, im Januar 2019, gab es eine Initiative meines zuständigen Lothar Binding, finanzpolitischer Sprecher der SPD Bundestagfraktion. Er begrüßte für die SPD-Bundestagsfraktion die Initiative von Bundesfinanzminister Olaf Scholz zur Anerkennung der Gemeinnützigkeit von Freifunk. Die Bundesregierung solle hierzu einen Gesetzentwurf zur Änderung des Gemeinnützigkeitsrechts auf den Weg bringen. Die SPD-Bundestagsfraktion setzt sich dann für eine zeitnahe Umsetzung ein.
Zu Attac erklärte Binding am 26.02.2019: Die Entscheidung des Bundesfinanzhofes zu Attac darf zu keiner Beschneidung der politischen Aktivitäten gemeinnütziger Organisationen bei der Verfolgung ihrer Zwecke führen. „Gemeinnützige Organisationen müssen politisch aktiv sein können. Anders ist eine Verfolgung ihrer gemeinnützigen Zwecke nicht effektiv möglich. Die Entscheidung des Bundesfinanzhofes zu Attac zeigt, dass der Katalog der gemeinnützigen Zwecke in der Abgabenordnung zu eng ist. Die SPD-Bundestagsfraktion wird deshalb prüfen, ob eine Anpassung des steuerlichen Gemeinnützigkeitsrechts erforderlich ist, um auch künftig eine Verfolgung gemeinnütziger Zwecke mit politischen Aktionen zu ermöglichen.“ Es gibt Vorschläger meiner Partei in den Landtagen u.a. von NRW und Hessen, allerdings auch sehr seltsame Debatte in den Netzwerken, wie die Aufregung um "Männervereine". Es geht also nicht nur um die von uns beiden geschätzten "Organe der kritische Zivilgesellschaft".
Die Initiativen der SPD-Fraktionen finden zwar Unterstützung des SPD-Bundesfinanzministers Olaf Scholz, aber nicht unbedingt die Zustimmung des Koalitionspartner CDU/CSU. Im Handelsblatt von 22. Oktober letzten Jahres war dazu zu lesen: "Berlin. Die Entscheidung der Finanzbehörden, der Organisation Campact den Status einer gemeinnützigen Organisation abzuerkennen, hat eine Debatte über das Gemeinnützigkeitsrecht entfacht. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) gab am Dienstag bekannt, „mit Hochdruck“ an einer Modernisierung zu arbeiten und kündigte an, „in den nächsten Wochen“ einen Gesetzesentwurf für Reformen vorlegen zu wollen. „Wenn Organisationen, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen, schlechter gestellt werden als jeder x-beliebige Verein, müssen wir das Steuerrecht ändern“, sagte Scholz. Derzeit liefen Gespräche mit Nichtregierungsorganisationen und den zuständigen Länderfinanzministerien.
Der Koalitionspartner reagierte etwas zurückhaltender. „Richtig ist, dass wir uns fragen müssen, ob die gesetzlichen Grundlagen für eine Betätigung im Rahmen der Gemeinnützigkeit noch den aktuellen Entwicklungen standhalten“, sagte die finanzpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagfraktion, Antje Tillmann, dem Handelsblatt. Hier biete die neuerliche Rechtsprechung allerdings klare Aussagen für eine vernünftige Abgrenzung von gemeinnütziger und politischer Betätigung. „Politische Betätigung kann nur Nebenzweck eines gemeinnützigen Vereins sein“, betonte Tillmann."
Sie sehen, wir sind mitten in der Debatte und ich teile persönlich die Position von Lothar Binding. Allerdings will ich Sie darauf hinweisen, dass die allgemeinpolitische Betätigung ein grundgesetzlicher Auftrag an die Parteien ist - sie wirken an der politischen Willensbildung mit. Dafür haben sie zwar steuerrechtliche Möglichkeiten bei der Annahmen von Spenden, damit zwingend verbunden die schärfsten Regel für die Finanzordnung, einschließlich einer umfassenden Transparenz. Diese sehen Sie an der Finanz-Berichten der Parteien, welche der Bundestagspräsident jährlich veröffentlicht.
Ich hoffe meine Ausführungen waren hilfreich für Sie und verbliebe mit herzlichen Grüßen
Gustav Herzog