Frage an Gustav Herzog von Jutta A. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Herzog,
Ihr Parteikollege Karl Lauterbach sagt, dass er als einer der wenigen Linken Schröder unterstützt hat, bei dem was zweifellos das Kürzel für den Niedergang Ihrer Partei symbolisiert https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/sozialleistungen-hartz-iv-ist-das-kuerzel-fuer-den-niedergang-der-spd-1.4288552 .
Wörtliches Zitat Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung): "Gerhard Schröder hat im Jahr 2005 auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos damit geprotzt, einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut zu haben. Es war also erklärtes Ziel der Agenda und von Hartz IV, die Löhne zu drücken und durch das Aufstockungssystem ein riesiges Lohnsubventionsprogramm für die Wirtschaft aufzulegen. Die Arbeitgeber zahlen Löhne unterhalb des Existenzminimums und der Staat zahlt was drauf, nicht ohne die Leute in eben diese prekäre Beschäftigung zu zwingen. Heute arbeitet fast jeder Vierte für Niedriglohn." https://www.sueddeutsche.de/politik/prantls-blick-viel-krach-im-haus-europa-1.3928935
Wie dieser Zwang - unter anderem - aussehen kann, zeigt dieses Urteil des Bundessozialgerichts http://juris.bundessozialgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bsg&Art=en&nr=15808 auf.
Jetzt, fast 15 Jahre!!! später, sagt Karl Lauterbach, HartzIV muss weg https://twitter.com/FerkelfabrikAT/status/1077115895032487936 .
HartzIV war und ist tatsächlich sehr erfolgreich, was die Entqualifizierung von Akademikern betraf und betrifft https://www.heise.de/tp/features/Exzellente-Entqualifizierung-3314378.html . Eine sehr spannende und für Millionen so erfahrene Realität im Niedrigstlohnsektor.
Meine Fragen:
Was verstehen Sie eigentlich unter Linken, überspitzt formuliert, eher Menschenfreunde oder eher Menschenfeinde?
Zählen Sie sich zu den Parteilinken?
Finden Sie das HartzIV-System eher menschenfreundlich oder eher menschenfeindlich?
Vielen Dank für eine Antwort.
Sehr geehrte Frau A.,
vielen Dank für Ihre Frage bezüglich „Hartz IV“. Eine grundsätzliche Bemerkung vorweg: Ich verstehe Abgeordnetenwatch nicht als Plattform für mich, die „verlinkten“ Kommentare Dritter zu bewerten.
Nun zum Thema. Bevor ich Ihre Fragen beantworte, möchte ich zunächst etwas ausführlicher auf einen der Kernkritikpunkte, der sowohl in den von Ihnen aufgeführten Artikeln als auch in der allgemeinen Debatte über „Hartz IV“ immer wieder auftaucht, eingehen: Die Sanktionen.
Eine Sanktion wird grundsätzlich bei Versäumnissen der Melde- und Mitwirkungspflicht sowie bei Pflichtverletzungen gemäß § 31 SGB II erlassen.
Sanktionen der ersten Art beginnen gemäß § 32 I SGB II mit Leistungskürzungen in Höhe von 10%, Sanktionen der zweiten Art gemäß § 31a I SGB II mit Leistungskürzungen in Höhe von 30%.
Die Höhe der Sanktionen steigt bei wiederholten Verstößen.
Dabei ist es wichtig anzumerken, dass einer Sanktion immer eine schriftliche Rechtsfolgebelehrung vorangehen muss, ansonsten ist jede erteilte Sanktion nichtig. Somit sind alle Sanktionen entweder per Widerspruch oder per Klage vor dem Sozialgericht (die übrigens kostenlos ist) anfechtbar.
Nun einige Gegenfragen an Sanktionsgegner:
Wenn ihr Kind unentschuldigt in der Schule fehlt, was passiert dann?
Wenn Sie unentschuldigt auf der Arbeit fehlen, was passiert dann?
Wenn Sie unentschuldigt nicht zu einem Bewerbungsgespräch erscheinen, was passiert dann?
Das sind natürlich rhetorische Fragen, die Antworten bekannt.
Es wäre in diesem Zusammenhang den Steuerzahler*innen gegenüber schwer erklärbar, warum die o. g. Verstöße unmittelbare und negative Folgen haben, aber (wiederholtes) Fehlverhalten von Beziehern staatlicher Leistungen folgenlos bleibt.
Ich möchte keineswegs pauschal die Sanktionen für ALGII-Bezieher verteidigen. Ich möchte Ihnen lediglich die verschiedenen Verhältnisse und Blickwinkel, die gerne übersehen werden, aufzeigen und anhand dieser darlegen, dass ein Hartz IV Bezieher nicht nur Ansprüche, sondern natürlich auch Pflichten hat, denen er wie wir alle, nachkommen muss.
Darüber hinaus ist doch interessant, dass die meisten Sanktionen von einer kleinen Zahl Betroffener ausgelöst werden, also bei 100 Sanktionen nicht 100 Bezieher*innen betroffen sind, sondern beispielsweise nur 40, von denen aber viele mehrfach.
Hinsichtlich der „Entqualifizierung“ von Akademikern möchte ich anmerken, dass die Vermittlungsangebote von Jobcentern keine Berufsbörsen für Studienabsolventen darstellen.
Ein arbeitsloser Volljurist kann sicher nicht hoffen durch das Jobcenter in eine Frankfurter Großkanzlei Einzug zu finden. Wer zudem noch promovierte, dem kann durchaus zugetraut werden, selbst einen passenden Beruf zu finden.
Doch nun zu Ihren konkreten Fragen:
1. Meinen Sie „Linke“ oder die Partei „Die Linke“? Politisch „Linke“ waren und sind Demokraten, bei denen die Soziale Gerechtigkeit den Schwerpunkt in der Programmatik bildet.
2. Ja
3. Keines von beiden Attributen. Die Zusammenlegung von staatlicher Arbeitslosenhilfe und staatlicher Sozialhilfe in einem System von Fördern und Fordern war damals richtig. Leider konnte damals nicht alles aus den Vorschlägen der „Hartz-Kommission“ umgesetzt werden. Dazu zählte insbesondere der Gesetzliche Mindestlohn! Dies haben wir nun nachgeholt. Auch andere Regelungen wurden zwischenzeitlich angepasst. Und natürlich besteht 15 Jahre nach Inkrafttreten und 8 Jahre nach der Zielmarge der „Agenda 2010“ weiterer Änderungsbedarf. Die SPD hat dies in ihrer Programmatik „Neuer Sozialstaat“ formuliert. Nachfolgend die in diesem Zusammenhang wichtigen Vorschläge:
Mit der fortschreitenden Digitalisierung der Arbeitswelt werden manche Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verlieren. Wir wollen nicht, dass diese Menschen sich in der neuen Arbeitswelt abgehängt fühlen und wollen ihnen daher neue Möglichkeiten eröffnen, sich den neuen Bedingungen entsprechend aus- und fortzubilden.
Dafür soll das „Arbeitslosengeld Q“ eingeführt werden: Eine dreimonatige Bezugszeit von ALG I soll zu einem Anspruch auf gezielte Weiterbildungsmaßnahmen und ALG Q führen. Das ALG Q soll die Höhe von ALG I haben und bis zu 24 Monate ausgezahlt werden.
Mit dem Qualifizierungschancengesetz wurden schon die ersten Schritte getan: Mit diesem Gesetz erhalten sowohl Arbeitslose als auch Arbeitnehmer einen Anspruch auf finanziell unterstützte Weiterbildungsmaßnahmen.
Daneben haben wir die Hürden, ALG I beziehen zu können, gesenkt: 10 Arbeitslosenversicherungsbeitragspflichtige Monate innerhalb der letzten 36 Monate vor Antragstellung reichen jetzt schon aus, um sich für ALG I beziehen zu können.
Doch auch „Hartz IV soll im Rahmen unseres Konzeptes eines neuen Sozialstaates reformiert werden. Mit dem neuen „Bürgergeld“, welches das ALG II ersetzen soll, sollen Qualifizierungs- und Weiterbildungsangebote in den Vordergrund der Leistungen der Arbeitsagenturen rücken. Kernideen des Bürgergeldes sind somit Förderungen des Nachholens eines Berufsabschlusses, das Bezuschussen einer dreijährigen oder auch vollständigen Berufsausbildung und ein monatlicher Bonus für Weiterbildung.
Bei der individuellen Bezugshöhe des Bürgergeldes sollen zudem bei denjenigen, die vorher ALG I bezogen, zwei Jahre lang Vermögen und Wohnungsgröße nicht mit einberechnet werden.
Obwohl an dem Grundsatz der Mitwirkungspflicht festgehalten wird, wird es Sie freuen zu hören, dass Sanktionen, wie z.B. die strengeren Sanktionen für unter 25-Jährige komplett gestrichen wird. Auch die „Härte“ von Sanktionen wird überarbeitet: Eine Kürzung der Wohnkosten wird es nicht mehr geben, ebenso wenig wie die komplette Streichung von Leistungen.
Die Eingliederungsvereinbarungen, deren Inhalt bei Ablehnung auch als Verwaltungsakt erlassen werden können und die in vielen Fällen die Gründe für Sanktionen sind, sollen durch Teilhabevereinbarungen ersetzt werden. In diesen werden die Interessen der Leistungsbezieher stärker in den Vordergrund rücken.
Nicht nur die Leistungen des Bürgergeldes sollen eine Verbesserung zum ALG II darstellen: Das Verfahren soll entbürokratisiert und in einer alltagstauglichen Sprache verfasst werden. Schriftwechsel und Informationsaustausch mit dem Arbeitsamt wollen wir auch digital verfügbar machen.
Mit freundlichen Grüßen,
Gustav Herzog