Portrait von Gustav Herzog
Gustav Herzog
SPD
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Gustav Herzog zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Thomas S. •

Frage an Gustav Herzog von Thomas S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Guten Tag Herr Herzog,

Ich frage mich immer öfter und heute Sie: Was ist los in unserem Land?

Konkret: Was läuft alles in Deutschland und der Politik falsch, wenn:

a) führende deutsche Automobilhersteller jahrelang eine betrügerische Software in deren Produktion einbauen,
wo die rechtlich geforderte Schadstoffeffizienz nur vorgetäuscht wird, anstatt eine solche technisch umzusetzen?

b) die den Staat und die betroffenen Verbraucher betrügenden Hersteller nach öffentlichem Bekanntwerden dieses Betrugs vom deutschen Staat und seiner Politik bis heute nicht zur umfassenden Rechenschaft und Schadensregulierung herangezogen werden?

c) durch "Cum-EX"- und Cum-Cum" Geschäfte der dt. Staat über 10 Jahre lang (von 2001-2016) um mindestens 36,2 Mrd. EUR betrogen wurde, davon noch nicht mal 20% der Schäden juristisch aufgearbeitet geschweige denn regresspflichtig wurden?

d) die dt. Staatsanwaltschaft, die bis dato bezogen auf die Aufarbeitung von "Cum-EX"- und "Cum-Cum" Geschäften keine Effizienz erkennen lässt, stattdessen gegen Menschen bzw. Institutionen ermittelt (z..B. den Journalist Oliver Schröm und dessen Agentur "CORRECTIV"),,welche zur Aufklärung dieser Geschäfte beigetragen haben?

e) die Agrarbranche in den 6 Jahren von 2012.-18 keine Anstalten erkennen ließ die technisch machbare schmerzfreie Kastration männlicher Ferkel umzusetzen und dafür von der in dieser Sache wirkungslosen Politik mit einer Verlängerung der Erlaubnis der betäubungslosen Kastration um 2 Jahre für ihr Nichtstun quasi belohnt wird?

Ich finde, dass die in a) bis e) benannten Phänomene unseren Rechtsstaat, die freiheitlich-demokratische Grundordnung sowie die Effizienz der deutschen Politik massiv in Frage stellen.

1. Wie erklären Sie das Zustandekommen der benannten Phänomene?
2. Wie werten Sie diese?
3. Sind Sie bezogen auf die in a) bis e) benannten Entwicklungen aktiv geworden, wenn ja wie?
4. Wenn nein, wollen Sie aktiv werden, wenn ja wie?

Viele Grüße, T. S.

Portrait von Gustav Herzog
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr S.,

besten Dank für Ihre vielen Fragen aus sehr unterschiedlichen Politikfeldern, die Sie in ihrer Zuschrift via abgeordnetenwatch zusammengestellt haben. Ich hätte es im Interesse anderer Leserinnen und Leser dieser Plattform besser (und übersichtlicher!) gefunden, wenn sie Ihre Fragen einzeln in den jeweiligen Kategorien dieser Plattform gestellt hätten, aber selbstverständlich respektiere ich als Gefragter den von Ihnen gewählten Weg, behalte mir aber vor, teils ausführlicher, teils sehr kurz zu antworten.

Zum Thema „Dieselskandal“:
Gegen die Verantwortlichen der „Betrugssoftware“ laufen strafrechtliche Verfahren. Verbraucherinnen und Verbraucher haben Dank der von der SPD eingeführten Möglichkeit zum Musterfeststellungsklage ebenfalls gute rechtliche Handhabe, zu ihrem Recht zu kommen. Auch hier läuft bereits das Verfahren.

Zum Thema „Betäubungslose Ferkelkastration“:
Die Versäumnisse der Vergangenheit liegen in erster Linie beim Bundesministerium für Landwirtschaft, welches in den fraglichen Jahren immer CDU/CSU-geführt war. Die SPD- Kolleg*innen aus dem Agrar-Fachbereich und auch die ganze Fraktion haben sich im vergangenen Jahr bemüht, mit der Union Kompromisse zur Schadensbegrenzung, insbesondere für die Tiere zu finden. Das ist uns unter den gegebenen Umständen gut gelungen, aber ich persönlich habe trotzdem gegen die Verlängerung der Frist gestimmt. Ich bin nämlich der Auffassung, dass wir als SPD nicht jeden „Scherbenhaufen“ mit aufkehren müssen, den CDU/CSU alleine angerichtet haben.

Zum Thema „Cum/Ex und Cum/Cum Geschäfte“:
Zunächst bedarf es für alle Interessierten, die diese Begriffe nicht konkret einordnen können, einer kurzen Definition:

Mit Cum/Ex Geschäften von Finanzunternehmen und Banken wurde auf betrügerische Weise eine mehrfache Erstattung einer einmal gezahlten Steuer auf Dividendengeschäfte erschlichen. Dabei wurden Lücken im Verfahren der Dividendenbesteuerung gesetzeswidrig ausgenutzt. Auch bei den s. g. Cum/Cum-Geschäften wurden mithilfe von Scheintransaktionen Bescheinigungen für Kapitalertragsteuern auf Dividendenerlöse eingeholt, die so nicht gezahlt wurden. Diese wurden dann mehrfach beim Fiskus gelten gemacht.

Diese Praxis fand in der Tat mehrere Jahre ungehindert in einer Grauzone der erwähnten Gesetzeslücken statt. 2007 kam aber eine erste Reform, die Cum-Ex verhindern sollte. Das hat auch funktioniert, allerdings nur innerhalb von Deutschland. Cum-Ex gab es weiterhin mit ausländischen Banken und Investoren. Darauf hat das Bundesfinanzministerium 2009 reagiert, um den Auslandsbezug zu verhindern.

Vollständig erfolgreich war ein neues Kapitalertragssteuerverfahren, das 2011/2012 eingeführt wurde. Dabei wurden das Steuerbescheinigungsverfahren und das Erstattungsverfahren in eine Hand gegeben, wodurch es unmöglich wurde, einen Anspruch doppelt anzumelden.

Bei der Berichterstattung in den letzten Monaten ging es meines Wissens nach um Cum-Ex-Geschäfte in anderen Ländern. Zu Inlandsfällen gab es dagegen nichts Neues. Gut in der aktuellen Berichterstattung war, dass Banken, die beteiligt waren, beim Namen genannt werden und deren Netzwerke bzw. wer wem gehört und wer mit wem diese Deals gemacht hat, transparenter wird. Ärgerlich hingegen waren solche Beiträge, die so taten, als würde es diese Art von Geschäften noch geben. Cum-Ex-Geschäfte sind in Deutschland wie oben erwähnt seit 2012 nicht mehr möglich. Allerdings ist „die Politik“ dabei nach wie vor auf Steuerverwaltung, Justiz und aufmerksame Bürgerinnen und Bürger angewiesen.

Was die Rolle der Staatsanwaltschaft bei Verfolgung des Steuerbetruges angeht, so kann und darf ich mir als Abgeordneter da kein Urteil erlauben (Gewaltenteilung!). Auch zu der Höhe des entstandenen Schadens habe ich keine Information, die Ihre Zahlen bestätigt oder ihnen widerspricht. Mein Kollege vom Finanzausschuss hat mir aber gesagt, dass derzeit sind 267 Verfahren mit 5,7 Mrd. Euro Schaden in der Diskussion stehen. Davon sind bisher ungefähr 2,4 Mrd. Euro zurückgekommen.

Was die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft gegenüber dem Journalisten Oliver Schröm angeht, so verfolge ich selbstverständlich die Berichterstattung (Pressefreiheit gehört zu den höchsten Gütern unseres Grundgesetzes!), kann und werde aber auch hier nicht als MdB kommentieren (Grund siehe oben).

Mit freundlichen Grüßen,

Gustav Herzog