Frage an Gustav Herzog von Marion S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Können Sie mir erklären, warum Sie dem Familiennachzug zugestimmt haben?
Sehr geehrte Frau S.,
wenn ich Ihre Frage richtig interpretiere, sehen Sie die erfolgte Abstimmung zum Übergangsgesetz bereits als Zustimmung zum Familiennachzug an. Dem ist nicht so, da die neuen gesetzlichen Regelungen zum Familiennachzug subsidiär (=nachrangig) geschützter Flüchtlinge erst nach der Regierungsbildung auf den Weg gebracht werden können. Aber ich nehme trotzdem gerne Stellung:
Nach der Abstimmung zum Übergangsgesetz (= weitere Aussetzung des Familiennachzugs bis zur ausgehandelten Neuregelung im August 2018) wurde ich von der einen Seite als „unmenschlich“ kritisiert, weil sich die Kritiker einen unbeschränkten Nachzug direkt ab März 2018 gewünscht hätten. Von anderen wurde ich für die Position der SPD kritisiert, maximal 1000 Familienangehörigen pro Monat plus besonderen Härtefällen den ausgesetzten Nachzug wieder zu ermöglichen. Bei Zustandekommen einer großen Koalition wäre das dann ab August so. Fazit: Was der einen Seite zu viel ist, ist der anderen zu wenig und letztlich muss man da als Politiker auch seinen Überzeugungen folgen – und dem Grundgesetz und anderen bei dem Thema wichtigen Gesetzen.
Meine persönlichen Werteüberzeugungen basieren bei dem Thema auf dem Grundgesetz (z. B. Schutz der Familie) und den von Deutschland unterschriebenen internationalen Verträgen (z. B. der Genfer Flüchtlingskonvention). Schon allein aus diesen Gründen sind wir verpflichtet, Asylsuchenden und Flüchtlingen zu helfen. Diese Menschen haben nach der Anerkennung Anspruch auf Familienzusammenführung. Dann gibt es noch als dritte Gruppe Menschen, die zu uns geflohen sind und erwarten müssen, dass ihnen bei ihrer Rückkehr schwerster Schaden droht (z. B. Todesstrafe, Folter, Tod als Zivilist in einem Bürgerkrieg). Für diese subsidiär Schutzsuchenden gilt deutsches Recht (§27-36 Aufenthaltsgesetz), welches seit 2004 gilt.
Das Gesetz sah und sieht von Anfang an auch für diese Gruppe von Schutzsuchenden das Recht auf Familiennachzug vor. Allerding bekam diese Regelung erst ab September 2015 ein besondere Bedeutung aufgrund der konkreten neuen Zahl der Fälle. Um die Aufnahme- und Integrationswilligkeit und –fähigkeit unseres Landes nicht überzustrapazieren, haben wir im März 2016 vorübergehend die Regelung für 2 Jahre bis März 2018 ausgesetzt.
CSU, CDU, AfD und andere wollen das Recht auf Familienzusammenführung für subsidiär Geschützte völlig streichen. Grüne, Linke und Asylverbände wollen sie wieder im vollen Umfang anwenden.
Wir Sozialdemokraten hätten uns auch eher die Rückkehr zur ursprünglichen Regelung gewünscht. Wir sehen aber auch die Problematik, dass man einen Ausgleich zwischen humanitärem Anspruch und tatsächlichen Möglichkeiten (z. B. Kapazitäten in den Botschaften zur Bearbeitung der Anträge) schaffen muss. Auch darf man zukünftige Entwicklungen oder Signalwirkungen (z. B. Geschäftsmodell für Schleuser) nicht ignorieren.
Bis zum 31.07.2018 bleibt also die Familienzusammenführung ausgeschlossen, aber Anträge für Visa können gestellt werden. Unsere Botschaften in den betroffenen Staaten sind in der Lage, ca. 1000 Anträge pro Monat ordentlich zu bearbeiten. Die vermeintlich willkürliche Zahl orientiert sich also an den Fakten der Realität. Die absolute Zahl ist auch für unsere Aufnahmemöglichkeiten zu bewältigen. In Härtefällen greift wie schon jetzt eine Sonderregelung.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen einen guten Überblick über die Situation, die Hintergründe und meine Beweggründe geben.
Zum Abschluss noch etwas Persönliches: Ich habe selbst zwei inzwischen erwachsene Kinder. Von ihnen getrennt zu sein wäre für mich unerträglich. Trotzdem hätte auch ich als Vater in einem Kriegsgebiet wie Syrien, Pakistan oder Afghanistan überlegt, eine Trennung auf Zeit zu riskieren, um ihr Leben zu retten.
Mit freundlichen Grüßen,
Gustav Herzog