Frage an Gustav Herzog von Volker U. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Abgeordneter,
"Spiegel online" vom 26.12.2014 konnte ich einen Beitrag über die DGB-Studie: Bilanz zu zehn Jahren Hartz IV von Wilhelm Adamy, entnehmen. Die Kernthesen lauten: "Die Reform habe beschönigt, verschleiert und schlichtweg ihr Ziel verfehlt". Und "Hartz IV wurde nicht nur schlecht gemacht, sondern hat zentrale Eckpfeiler und die Grundarchitektur des bundesdeutschen Sozialsystems massiv verschoben". Wieso konnte ein solch sozial nachteiliger Gesetzesvorschlag ausgerechnet der Feder sozialdemokratischer Spitzenpolitiker entspringen und warum wurde er von der weit überwiegenden Mehrheit der SPD-Parlamentarier als das "Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" verabschiedet?
Vielen Dank für Ihre Antworten.
Bei dieser Gelegenheit darf ich Ihnen und Ihren Angehörigen ein erfolgreiches und gesundes Neue Jahr wünschen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Volker Ultes
Sehr geehrter Herr Ultes,
ich bedanke mich herzlich für Ihre erneute Anfrage, dieses Mal zu der Thematik „Hartz IV“ im bundesdeutschen Sozialsystem und dessen Reformen. Gerne möchte ich wieder auf Ihre Frage antworten.
Die Schaffung eines neuen Leistungssystems, der Grundsicherung für Arbeitssuchende, stellte die wesentliche Neuerung innerhalb des „Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ dar. Als Reform konnte das neue Leistungssystem dabei auf die bisherigen Erfahrungen und Erkenntnisse der Arbeitslosen- und Sozialhilfe, die innerhalb der Grundsicherung für Arbeitssuchende zusammengeführt wurden, aufbauen. Die bewährte Auffangfunktion des Sozialsystems wurde gleichermaßen erhalten und modernisiert.
Die dabei sozialpolitisch ermöglichten positiven Entwicklungen aus der Reform werden im Lichte der allgemein eher negativ besetzten Begrifflichkeit von „Hartz IV“ leider zu oft vernachlässigt. Dazu zählen u.a.:
- Sie hatte einen großen Anteil an der erfolgreichen Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit. Vor der Reform befanden sich ca. 5 Millionen Menschen in der Arbeitslosigkeit. Heute, zehn Jahre nach der Umsetzung, ist diese Zahl um zwei Millionen Menschen gesunken.
- Die Regelsätze in West- und Ostdeutschland wurden angeglichen.
- Deutschland zeigt die geringste Jugendarbeitslosigkeit und die zweithöchste Beschäftigungsquote in Europa.
Dies wiederum führte zum Erhalt des wettbewerbsfähigen Industriestandortes Deutschland im internationalen Vergleich, da durch die Hartz-Reform als Vorreiter der vorgenannten sozialpolitischen Entwicklungen im Rahmen der Agenda 2010 Investitionen von mehreren Milliarden Euro in Bildung, Forschung und Kinderbetreuung erfolgt sind. Auch letztendlich deshalb ist der Bundesrepublik ein besseres Abschneiden in der Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009 als anderen Industrienationen gelungen.
Neben diesen Positiventwicklungen für die Gesamtgesellschaft konnten rückblickend nicht alle Ziele der Reform zufriedenstellend erfüllt werden. Insbesondere die Etablierung neuer Beschäftigungsverhältnisse führte durch Missbrauch der durch die Reformierung verfolgten Beschäftigungsanreize zu einer dauerhaften Ausdehnung des Niedriglohnsektors. Diese Entwicklungen werden wir durch die gesammelten Erfahrungen heute korrigieren.
Der Mindestlohn und die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes bei älteren Arbeiternehmern stellen dabei wesentliche Elemente dar. Dadurch konnte die bereits innerhalb der Reform verfolgte grundsätzliche Ausrichtung des Leistungssystems erneut aufgegriffen und gestärkt werden.
Letztendlich drückt sich die Berechtigung der Reform in ihrer Bestandskraft aus: In Zeiten der wirtschaftlichen Mixtur aus materieller Produktion und Digitalisierung haben wir ein Leistungssystem etabliert, welches zwar nicht vollkommen ausgereift war, das jedoch in Zeiten der Technisierung bestanden und vielen Menschen eine Aufnahme in den Arbeitsmarkt ermöglicht hat. Dem sollten wir nicht mit Zweifel sondern mit Zuversicht gegenüberstehen.
Mit vielen Grüßen aus Berlin
Gustav Herzog