Frage an Günter Gloser von Josef M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Gloser,
zunächst danke für die Antwort (Frau Wöhrl, der ich die gleichlautende Frage stellte, schweigt lieber - auch eine Stellungnahme).
Gerne erläutere ich Ihnen was ich an dem Thema für undemokratisch halte:
Das Verfahren zur Einführung von Fiskalpakt und ESM halten neben mir viele Kommentatoren für wenig transparent; es erfolgt keine ausreichende Diskussion im Bundestag, der Gesetzestext wird den Abgeordneten kurzfristigst vorgelegt, übliche Fristen werden "eingedampft" - so entscheidet auch noch schnell der Bundesrat und im Zweifelsfall wohl die "Parteilinie". Sie mögen das als politische Normalität und Notwendigkeit ansehen, aus meiner Sicht ist es einem Abgeordneten so nicht möglich sich eine unabhängige Meinung zu bilden.
Das Konstrukt ESM ist in seiner vorgesehenen Form jenseits jeglicher Demokratie, da es entgegen Ihrer Aussage keine wirksame Kontrolle geben wird, keine Rechenschaftspflicht, keine Sanktionsmöglichkeiten und Immunität für die handelnden Personen. So etwas schafft ungemein Vertrauen.
Wäre es nicht an der Zeit endlich einmal zu definieren (und zwar gemeinsam mit den Bürgern) welches "gemeinsame" Europa wir wollen ? Es wird nur versucht Schulden mit immer mehr neuen Schulden zu regeln (ist ja auch einfach, die nötige Liquidität ist schnell geschaffen, führt aber nur zu Zeitaufschub und noch größeren Problemen in der Zukunft). Und das wird auch noch mit aller Macht als alternativlos verkauft.
Auch ich bin durchaus für Europa, mein Befund ist im Augenblick allerdings eher pessimistisch. Die Wahrnehmung ist leider, dass jede Partei (EU-Mitglieder, Euro-Mitglieder, Brüssel) nur davon geleitet wird in höchstem Maß selbst von "Europa" zu profitieren - und das seit langen Jahren. Verträge werden gebrochen wo immer es geht - was macht Sie da optimistisch, dass es in Zukunft anders sein wird?
Wie erklären Sie den Menschen, dass überall insbesondere Vermögende keinen Beitrag leisten?
Mit freundlichen Grüßen
Josef Müller
Sehr geehrter Herr Müller,
vielen Dank für Ihre Erläuterung. Ihre Kritik an der Struktur des ESM wurde auch in der SPD-Bundestagsfraktion sehr kontrovers diskutiert.
Im Grunde handelt es sich um einen Zielkonflikt zwischen der Glaubwürdigkeit des Mechanismus und der politischen Kontrolle des Parlaments. Einerseits kann der ESM nur dann funktionieren, wenn er dies unabhängig von politischer Einflussnahme tun kann. Er ist daher so ausgelegt, dass einzelne Staaten unabhängig von ihren Eigeninteressen an der Solidarität mit anderen Staaten festhalten. Andererseits schränkt der ESM die Kontrollfunktion des Parlaments ein, was für mich als Parlamentarier natürlich ein großes Problem darstellt.
Hinzu kommt noch, dass die Bundesregierung den Bundestag nicht angemessen über die Verhandlungen unterrichtet hat. Dass dies eine Verletzung parlamentarischer Rechte darstellt hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 19.06.2012 bestätigt. Diese Intransparenz halte auch ich für undemokratisch und kritikwürdig.
Was die Diskussion über ein gemeinsames Europa angeht, so bin auch ich der Meinung, dass dies dringend notwendig ist. Diese Diskussion können wir aber nicht mit Schlagworten führen (was ich Ihnen auch nicht vorwerfen möchte). Das wird ein langfristiger Prozess sein, der teilweise auch schon begonnen hat. Dagegen ist die Absicherung der Funktionsfähigkeit der Eurozone für mich eine kurzfristige Maßnahme. Aufgrund der wirtschaftlichen Risiken für Deutschland kann damit nicht gewartet werden, bis wir uns auf Reformen für die Europäische Union geeinigt haben. Der Titel einer von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegebenen Studie spiegelt diese Vorgehensweise sehr gut wieder: „Vom Euro-Krisenmanagement zu einer neuen politischen Architektur der EU?“ ( http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/09145.pdf ).
Letztendlich muss ich abwägen, ob und unter welchen Bedingungen die Abgabe einiger Kontrollfunktionen durch die Notwendigkeit von Fiskalpakt und ESM gerechtfertigt ist. Meine durchaus schwerwiegenden Bedenken gegenüber den Gesetzesvorschlägen werde ich auch in einer gemeinsamen Erklärung mit Martin Burkert äußern. Trotzdem glaube ich, dass die Maßnahmen zur Bewältigung der Eurokrise dringend notwendig sind. Diese Notwendigkeit lässt es auch nicht zu, dass ich aus Protest gegen die Rechtsverletzung der Bundesregierung meine Zustimmung verweigere.
Aufgrund dieser Überlegungen werde ich den Anträgen zustimmen.