Frage an Günter Gloser von Heinrich V. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Gloser,
der Justiz- und Psychiatrieskandal Gustl Mollath ist Ihnen doch sicherlich nicht verborgen geblieben, oder?
Was können Sie dazu beitragen, dass Herr Mollath schnellstens wieder in Freiheit kommt?
Wie man der heutigen Rheinischen Post entnehmen kann, wurde gestern im Bundestag ein Gesetz verabschiedet, welches eine Zwangsbehandlung mit schlimmsten Nervengiften ab sofort wieder möglich macht. Siehe: http://bit.ly/104m49Y
Haben Sie im Bundestag dafür gestimmt?
Bitte gebe Sie mir kurzfristig Antwort.
Mit freundlichen Grüßen nach Nürnberg
Heinrich Vetter
Sehr geehrter Herr Vetter,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 18.1.2013.
Der Fall Mollath ist eine innerbayerische Angelegenheit. Hier sind die bayerischen Justizbehörden und zuvorderst die Justizministerin des Freistaates Bayern gefordert, eventuelle Missstände die in ihrem Verantwortungsbereich liegen, aufzuklären, Konsequenzen zu ziehen und gegebenenfalls Wiedergutmachung zu leisten. Der Deutsche Bundestag oder einzelne Abgeordnete, sind bei landesbehördlichen Verfehlungen nur dann gefragt, wenn ihr Kompetenzbereich betroffen ist. Zwar sehe ich keinen Zusammenhang zwischen dem Einzelfall Mollath und dem Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme. Dennoch erläutere ich Ihnen dazu gerne meine Haltung:
Der Deutsche Bundestag hat am 17. Januar 2013 den Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme in 2. und 3. Lesung verabschiedet. Auch die SPD-Bundestagsfraktion hat für den Gesetzentwurf in geänderter Fassung gestimmt.
Wir haben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Die Behandlung gegen den ausdrücklichen Willen des Patienten stellt einen erheblichen Grundrechtseingriff dar. Allerdings kann das Fehlen einer solchen Möglichkeit im Rahmen des Betreuungsrechtes dazu führen, dass Betroffene einen schwerwiegenden gesundheitlichen Schaden nehmen. Uns war es daher besonders wichtig, einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Recht auf freie Selbstbestimmung auf der einen Seite und dem Schutz vor einer erheblichen gesundheitlichen Gefährdung auf der anderen Seite zu schaffen.
Es ist uns gegen den anfänglichen Widerstand der Koalitionsfraktionen gelungen, die Durchführung eines ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens durchzusetzen. Neben einem erweiterten Berichterstattergespräch mit externen Sachverständigen, haben wir darüber hinaus die Durchführung einer öffentlichen Anhörung unter Teilnahme von Betroffenen erreichen können sowie diverse interne Berichterstattergespräche durchgeführt. Im Zuge dieser Beratungen konnte die SPD-Bundestagsfraktion einige wichtige Änderungen des ursprünglichen Gesetzentwurfs der Koalition durchsetzen. Dieser wies in seiner Ursprungsfassung deutlich zu geringe Hürden für die Anwendung medizinischer Zwangsmaßnahmen auf. Auf diese Weise konnten wir die Rechte der Betroffenen deutlich gestärkt werden.
Die Durchführung einer medizinischen Zwangsmaßnahme wird auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt und nur mit einer richterlichen Genehmigung möglich sein. Sie darf nur als letztes Mittel zur Abwendung eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens, der durch keine andere zumutbare Maßnahme abgewendet werden kann, angeordnet werden. Auch muss zuvor versucht worden sein, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen, um seine freiwillige Zustimmung zur Behandlung zu erreichen.
Wir haben uns auch für die Stärkung der Rechte der Betreuten im gerichtlichen Verfahren eingesetzt. Im Verfahren wird den Betroffenen zukünftig immer ein Verfahrenspfleger zur Seite gestellt und Gutachten von Sachverständigen zur Bewertung der Maßnahme eingeholt. Der Sachverständige soll nicht der behandelnde Arzt sein. Falls die Maßnahme über 12 Wochen hinaus erfolgen soll, ist eine externe Begutachtung erforderlich. Der Arzt soll den Patienten noch nicht behandelt haben und soll außerdem nicht Arzt in der Unterbringungsklinik sein.
Die Koalitionsfraktionen sind uns im Laufe der Beratungen in einigen wichtigen Punkten entgegengekommen, so dass wir dem Entwurf in geänderter Fassung zustimmen konnten.
Das Thema der medizinischen Zwangsbehandlung ist damit aber längst nicht abschließend behandelt. Es gilt weitere Schritte insbesondere im präventiven Bereich einzuleiten. Zum Beispiel müssen die ambulanten Hilfesysteme ausgebaut werden, um in Krisensituationen den Betroffenen schnell und frühzeitig helfen zu können. Darüber hinaus sollten Patienten rechtzeitig auf die Möglichkeiten einer Patientenverfügung und einer Vorsorgevollmacht hingewiesen werden, damit ihr tatsächlicher Wille dokumentiert ist.
In Anbetracht der Sensibilität des Themas und des enormen öffentlichen Interesses wird die SPD-Bundestagsfraktion diese und weitere Fragen in ihren Arbeitsgruppen zeitnah beraten und weitergehende Vorschläge in die politische Diskussion einbringen.
Sie können sich sicher sein, dass wir uns gerade auch für eine Verbesserung der Situation von unter Betreuung stehenden psychisch kranken Menschen in Deutschland einsetzen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Günter Gloser