Frage an Günter Gloser von Johannes R. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Gloser,
Ich richte mich heute an Sie bezüglich Ihrer Funktion als DAFG-Vorstandsmitglied.
Ich habe im Herbst letzten Jahres mehrere Monate für eine NGO in Damaskus gearbeit. Zu dieser Zeit gab es noch keine nennenswerte Demokratiebewegung innerhalb Syriens, und die verschiedenen religiösen Gruppierungen lebten weitesgehend gewaltfrei im Dialog miteinander.
In Anbetracht der aktuellen, von der Regierung bewusst herbeigeführten Segregation der syrischen Gesellschaft bin ich durchaus besorgt um den Fortbestand dieses friedlichen Miteinanders.
Zwar halte ich das deutsche Engagement für eine Verurteilung der massiven Gewalt für lobenswert, dennoch stellt sich zunehmend der Eindruck ein, dass es sich hierbei hauptsächlich um Worthülsen handelt.
Meine erste Frage an Sie lautet daher, inwiefern Sie der Überzeugung sind, dass wirtschaftliche Sanktionen die zunehmende, fatale Bewaffnung der Zivilbevölkerung sowie die Gründung religiöser, paramilitärischer Vereinigungen und in der Folge einen christlichen Massenexodus nach irakischem Vorbild verhindern können.
Wie Ihnen sicherlich bekannt ist, residiert der in Syrien als "Schlächter von Hama" bekannte Rifaat al Assad bereits seit langem in der EU, genauer gesagt in London. Immer wieder nun habe ich gehört, dass er eine intensive Verbindung zur Syr. Beobachtungsstelle für Menschenrechte, ebenfalls ansässig in London, pflegen soll.
Auch fällt das lautstarke Auftreten Frankreichs deutlich auf, was unter dem Gesichtspunkt des Massakers französischer Kolonialtruppen an Damaszener Zivilisten im letzten Jahrhundert doch gelinde gesagt unangenehm aufstößt.
Auf welche Weise also lässt sich den Syrern die Uneigennützigkeit der EU bei ihrem Engagement Ihrer Meinung nach am Besten vermitteln? Und für wie intensiv halten Sie die Verbindung Burhan Ghalioun´s mit dem französischem Establishment?
Ich möchte Ihnen im Vorraus herzlich für die Beantwortung meiner Fragen danken.
MfG,
Johannes Ruppert
Sehr geehrter Herr Ruppert,
vielen Dank für Ihre Frage, die ich vor allem als für den Nahen Osten zuständiger SPD-Berichterstatter im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages gern beantworte.
Die Entwicklung in Syrien verfolge ich seit Beginn der Unruhen sehr genau und mit großer Sorge. Auch ich war noch im Frühjahr im Land und konnte wie Sie trotz der beginnenden Proteste eine insgesamt ruhige Lage erleben. Auch die Gespräche mit christlichen Gemeinden haben das damals bestätigt. Spürbar war lediglich, dass manche Minderheiten zu einer Unterstützung des bestehenden Regimes neigten, weil sie bei einer Machtübernahme der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit Repressionen befürchteten. Das war allerdings vor den ungeheuerlichen Gewaltexzessen des Regimes beim Versuch der Niederschlagung der Aufstände.
Bei oberflächlicher Betrachtung drängen sich Parallelen zu den Vorgängen in Libyen auf, weshalb häufig auch ein ähnliches militärisches Vorgehen westlicher Staaten gefordert wird. Ich sehe vor allem viele Unterschiede. So liegt für Syrien keine Resolution des VN-Sicherheitsrates und es gibt auch keine ernstzunehmenden Forderungen syrischer Oppositionsvertreter für ein solches Eingreifen. Außerdem würde im Fall von Syrien in der Nachbarschaft des Libanon und des Iran ein Flächenbrand drohen, wenn es Angriffe westlicher Staaten gegen das Regime in Damaskus geben würde. Nicht zuletzt wäre die Sicherheit Israels stark gefährdet.
In den vergangenen Wochen hatte ich die Gelegenheit zum Gespräch sowohl mit dem Syrischen Nationalrat, der nach eigenen Angaben ca. 60 Prozent der Opposition vertritt, als auch mit Vertretern der Muslimbrüder in Westeuropa. Die Berichte über die Gräueltaten des Regimes sind erschütternd. Beeindruckend ist angesichts dessen, dass trotz allen Blutvergießens die allergrößten Teile der Opposition an einem gewaltfreien Protest festhalten.
Allerdings gibt es auch bewaffnete Oppositionsgruppen, die einen militärischen Aufstand nach libyschen Vorbild vorantreiben. Da weder Beobachter noch Journalisten ins Land dürfen, gibt es leider kaum belastbare Informationen darüber, was genau vor Ort passiert.
Großen Anlass zur Sorge geben uns in der Tat die Perspektiven der Christen und der vielen anderen Minderheiten in Syrien. Manche Quellen äußern die Befürchtung, es könnte nach einem Erfolg des Aufstands zur Vertreibung der Christen ähnlich wie im Irak kommen. Dagegen steht die ausdrückliche Versicherung aller Oppositionsvertreter, die ich sprechen konnte, dass Syrien weiterhin ein multiethnisches und multireligiöses Land sein soll. Das haben insbesondere auch die Muslimbrüder immer wieder unterstrichen.
Über die Verbindungen von Herrn Ghalioun zum französischen „Establishment“ vermag ich nichts zu sagen. Ebensowenig über die Verbindungen von Herrn Rifaat al Assad zur Londoner Beobachtungsstelle für Menschenrechte.
Eine sehr konkrete Vorstellung habe ich allerdings von der richtigen Europäischen Politik gegenüber Syrien: Die Politik der Sanktionen, auch die Verstärkung dieser Politik in diesen Tagen und Wochen ist richtig und muss fortgesetzt werden. Besonders wirksam wird diese Politik sein, wenn weiterhin ein Schulterschluss mit der Arabischen Liga gelingt. Die Entscheidungen der Arabischen Liga zu Syrien sind sehr zu begrüßen – sie kamen überraschend und stellen ohne Frage eine historische Wende in der Arbeit dieser Organisation dar. Insgesamt ist der Druck auf Syrien schon deutlich spürbar und es wird immer schwerer für die Regierung Assad, dem politischen und vor allem auch dem wirtschaftlichen Druck zu widerstehen. Insofern mag es auch Worthülsen geben, mit den Sanktionen wird aber real wirksame und richtige Politik gemacht.
Im Übrigen sollten wir unseren Einfluss auf Russland nutzen, um auch im VN-Sicherheitsrat eine klare Verurteilung Syriens und ein Mandat für eine weitere Isolierung des Assad-Regimes zu erhalten. Außerdem sollten Gespräche mit allen Teilen der syrischen Opposition geführt werden, um zu ermitteln, welche Ziele die unterschiedlichen Gruppen verfolgen und welche Forderungen gegenüber dem Ausland sie erheben. Nur durch solche Gespräche können wir weiterhin Einfluss nehmen und ggf. auch nach einem Sturz des Assad-Regimes schnell Kontakte mit einer möglichen neuen Führung aufbauen.
Darauf und auf eine Erhöhung des wirtschaftlichen und politischen Drucks auf Assad sollten wir uns deshalb konzentrieren und vor allem in der Aufmerksamkeit für dieses Land nicht nachlassen. Denn Syrien hat eine Schlüsselstellung im Nahen Osten, in Bezug auf Irak und Iran, vor allem aber auch in Bezug auf den Libanon und die Sicherheit Israels, die für deutsche Politik immer eine große Priorität genießen muss.
Ich hoffe, Ihre Fragen damit – soweit mir möglich – beantwortet zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Günter Gloser