Frage an Günter Gloser von Klaus S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Wikileaks hatte vor kurzem knapp 400.000 vertrauliche Dokumente der US-Streitkräfte zum Irak-Krieg veröffentlicht. Sie belegen laut Wikileaks, dass mehr als 60 Prozent der zwischen 2004 und 2009 im Irak-Krieg getöteten Menschen Zivilisten waren. Den veröffentlichten 391.832 geheimen Feldberichten von US-Soldaten zufolge starben in der Zeit vom 1. Januar 2004 bis zum 31. Dezember 2009 insgesamt 104.111 Menschen, darunter 66.081 Zivilisten. Demnach fielen dem Krieg im Berichtszeitraum, wobei für Mai 2004 und März 2009 keine Zahlen vorliegen, täglich 31 Menschen aus der Zivilbevölkerung zum Opfer.
Wäre es nicht an der Zeit, auch angesichts der Terrorbedrohungen gegenüber Deutschland, auf ein Irak-Tribunal hinzusteuern, um endlich den Angriffskrieg der USA zu geißeln?
Ich als deutscher Staatsbürger will auf keinen Fall in Verbindung mit den Kriegsverbrechen der USA im Irak und in Afghanistan in Verbindung gebracht werden. Sie sind u.a. die Vertretung des deutschen Volkes im Bundestag.
Was können wir daher in der Aufklärung der Kriegsverbrechen in nächster Zeit erwarten?
Sehr geehrter Herr Schmidt,
vielen Dank für Ihre Frage. Ich habe mich wiederholt und an verschiedenen Stellen zum Thema Irakkrieg geäußert. Ich hielt den Angriff auf den Irak seinerzeit und ich halte ihn im Rückblick für weder gerechtfertigt noch angemessen. Die Rechtsgrundlage für diesen Krieg war und ist mehr als zweifelhaft, der für den Angriff maßgebliche Vorwurf der Produktion von Massenvernichtungswaffen durch den Irak hat sich als falsch herausgestellt. Wie Sie wissen, hat sich Deutschland nach der Entscheidung der damaligen SPD-geführten Bundesregierung bewusst nicht an diesem Einsatz beteiligt. Die Zahlen, die Sie nennen, belegen die Unverhältnismäßigkeit dieses Einsatzes zusätzlich.
Ihren Vorschlag eines internationalen Tribunals dazu halte ich aber für wenig aussichtsreich. Das einzige internationale Gremium, das diese Aufgabe übernehmen könnte, wäre der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag. Dieser wird, sehr zu meinem Bedauern, von den USA aus prinzipiellen Gründen nicht anerkannt. Die USA wollen keine Rechtshoheit über ihre Staatsbürger anerkennen außer ihren eigenen Gerichten. Daher sind die Vereinten Nationen in New York der einzige Raum, in dem die Frage der Rechtmäßigkeit dieses Krieges diskutiert werden kann. Dort ist insbesondere der Sicherheitsrat zu nennen, in dem die USA allerdings ein Vetorecht besitzen und jede Verurteilung des eigenen Tuns verhindern können.
Wie Sie daraus erkennen können, ist die internationale Staatengemeinschaft weit davon entfernt, ein klar geregelter Rechtsraum zu sein, in dem alles, was die Staaten tun, nach einem „Strafgesetzbuch“ durch Gerichte geahndet werden kann. Diese Erwartung, die wir auf nationaler Ebene haben, soweit wir in einem Rechtsstaat wie Deutschland leben, kann also international so nicht erfüllt werden.
Es bleiben also die Diplomatie, die internationalen Gremien und der weltweite Diskurs der Zivilgesellschaften. Und die Hoffnung, dass in allen zukünftigen Fällen das schlechte Beispiel des Irakkrieges als mahnendes Beispiel dient.
Waffengewalt durch Staaten darf grundsätzlich nur zur eigenen Verteidigung oder als Beistand für ein Partnerland in einem Verteidigungsbündnis angewandt werden. Ausnahmen von dieser Regel müssen streng begrenzt bleiben und bedürfen grundsätzlich eines Beschlusses des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Das ist die Position der SPD und das ist auch meine Position.
Mit freundlichen Grüßen
Günter Gloser