Frage an Gülseren Demirel von Andrea S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Ihre Position zur Landtagswahl
1. Welche Konzepte haben Sie zum Abbau des Wohnungsnotstands?
2. Planen Sie, Alleinerziehende zu entlasten?
3. Würden Sie eine Beibehaltung der ANKER-Zentren vertreten?
4. Welche Haltung vertreten Sie zum PAG (Polizei-Aufgabengesetz)
5. Wie wollen Sie den Pflegenotstand bekämpfen?
6. Befürworten Sie Abschiebungen - insbesondere nach Afghanistan?
7. Wie sollen die Bürgerinnen und Bürger vor der Schadstoffbelastung durch den Verkehr in München geschützt werden?
8. Welche Koalition wäre für Sie denkbar?
Sehr geehrte Frau Stickel,
hier kommen die Antworten auf Ihre Fragen:
Welche Konzepte haben Sie zum Abbau des Wohnungsnotstands?
Wohnen ist ein Grundbedürfnis und kein Luxus. Menschen sollen dort leben können, wo Freunde, Kitas und Jobs sind – auch diejenigen mit kleinem Geldbeutel. Damit Wohnungen bezahlbar bleiben, wollen wir Grüne in Bayern den sozialen Wohnungsbau mit 1 Milliarde Euro jährlich fördern und so den Bau von Miet- und Studierendenwohnungen voranbringen und dabei auch gleich etwas für die energetische Modernisierung und den barrierefreien Umbau tun.
Ursächlich für die hohen Mieten in München ist nicht zuletzt die Spekulationen mit Grund und Boden. Um diese leistungslosen Gewinne auf Kosten der NormalverdienerInnen wirksam zu begrenzen, wollen wir das Grundsteuergesetz ändern, sodass überall, wo Baurecht geschaffen wurde, auch zügig gebaut wird. Die Umlage von Sanierungskosten auf MieterInnen darf nicht zu einer unbezahlbaren Steigerung des Mietpreises führen. Wir brauchen außerdem eine wirksame Mietpreisbremse und realistische Mietspiegel.
Eine Schlüsselrolle bei der Schaffung bezahlbaren Wohnraums kommt Städten und Gemeinden zu. Als Stadträtin in München habe ich einige Reformen mit angeschoben, die die Schaffung preiswerten Wohnraum fördern werden, und mittelfristig hoffentlich zu einer Entspannung auf dem Münchner Wohnungsmarkt führen werden, z.B.:
Die Reform der Erhaltungssatzung, die in einigen Gebieten der Stadt die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen mit wirksamen sozialen Auflagen verknüpft.
Die Bevorzugung von Genossenschaften bei der Vergabe von städtischen Grundstücken, indem in die Ausschreibung soziale Kriterien – etwa eine langfristige Mietpreisbindung – aufgenommen werden.
Die Stärkung der städtischen Wohnbaugesellschaften durch mehr Personal und Kapital, um möglichst viele Wohnungen in die Hand der Stadt oder von Genossenschaften zu bekommen.
Planen Sie, Alleinerziehende zu entlasten?
Da ich selber eine Tochter alleine aufgezogen habe, trete ich nachdrücklich dafür ein, Alleinerziehende zu entlasten, denn ich kenne ihre oft schwierige Lage aus eigener Erfahrung.
Fast vier von zehn Alleinerziehenden in Bayern sind von Armut bedroht. Alleinerziehende Frauen sind die Bevölkerungsgruppe mit dem höchsten Armutsrisiko. Gerade sie sind deshalb auf ein gutes Angebot zur Kinderbetreuung angewiesen, damit sie für ihren Lebensunterhalt sorgen können. Deshalb müssen bei der staatlichen Kinderbetreuung Rand- und Ferienzeiten besser abgedeckt werden, denn Vollzeitjobs und längere Pendelwege sind für Alleinerziehende oft nicht mit der angebotenen Betreuungszeit vereinbar. Deshalb planen wir, umgehend ein Förderprogramm in Höhe von 28 Millionen Euro für ein flächendeckendes Angebot mit deutlich längeren Öffnungszeiten der Kitas aufzulegen: Alle, die frühmorgens, abends oder an Wochenenden arbeiten müssen, brauchen bedarfsgerechte Öffnungszeiten.
Gute Kinderbetreuung steht und fällt mit guten ErzieherInnen. Deshalb werden wir eine Ausbildungsoffensive für ErzieherInnen in Bayern mit einer qualitativ guten Ausbildung und einer besseren Bezahlung starten. Mit einem Förderprogramm in Höhe von 400 Millionen Euro wollen wir mehr Betreuungsplätze schaffen und die Personalausstattung in den Kitas deutlich verbessern.
Würden Sie eine Beibehaltung der ANKER-Zentren vertreten?
Wir lehnen es ab, Flüchtlinge zu kasernieren und von der Bevölkerung zu isolieren. Der Integration sind diese sogenannten Ankerzentren sicherlich nicht dienlich, denn sie unterbinden den Kontakt zur Gesellschaft und zwingen die Flüchtlinge unter sich zu bleiben. Auch wenn die geplante Verweildauer von höchstens 18 Monaten nicht überschritten wird, muss man davon ausgehen, dass Menschen aufgrund realer Abschiebehindernisse oder falscher Verfahrensentscheidungen über viele Monate oder Jahre unter beengten und belastenden Bedingungen in den Massenunterkünften leben müssen.
Wir treten für dezentrale Unterbringung ein mit funktionierender Anbindung an Helfer- und Unterstützerkreise und Anknüpfungspunkten an die heimische Gesellschaft.
Welche Haltung vertreten Sie zum PAG (Polizei-Aufgabengesetz)?
Wir Grüne lehnen das neue Bayerischen Polizeiaufgabengesetz ab. Dieses Gesetz verstößt gegen Grundrechte und wir haben daher Klage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingereicht.
Sage und schreibe 39 einzelne Maßnahmen stehen durch das PAG-Neuordnungsgesetz zur Verfügung - von der Online-Durchsuchung, Dauerobservation mit Ton und Bildaufnahmen, über den Einsatz Verdeckter Ermittler*innen bis zur Telekommunikationsüberwachung. Die polizeilichen Befugnisse werden ins Gefahrenvorfeld verschoben. Die breite Absenkung der Eingriffsschwelle führt dabei zu einem rechtsstaatswidrigen Eingriff in die betroffenen Grundrechte.
Mehr dazu hier:
Wie wollen Sie den Pflegenotstand bekämpfen?
Wir wollen die Pflege zukunftssicher machen – durch bessere Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen, eine gesetzlich festgelegte Personalbemessung mit höherem Personalschlüssel, verbindliche Dienstpläne, die Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung sowie eine bessere Bezahlung. Zur Entlastung der häuslich Pflegenden wollen wir mehr Kurzzeitpflegeplätze einrichten. Wir wollen auch die Unterstützungs- und Ausbildungsmöglichkeiten für Angehörige von pflegebedürftigen Personen verbessern und setzen uns für angemessene Pflegesätze ein.
Generell wollen wir die Stellung der nichtärztlichen Gesundheitsberufe wie zum Beispiel von Pflegekräften, Hebammen u.a. stärken und ihnen mehr, Aufstiegsmöglichkeiten und akademische Ausbildung bieten. In diesen Kontext gehört auch unsere Forderung nach einer bayerischen Pflegekammer, damit die Beschäftigten ihre und die Interessen der Gepflegten auf Augenhöhe mit den ärztlichen Heilberufen vertreten können. Die jetzt bekannt gewordene Abschaffung des Schulgelds für Heilberufe ist richtig und erfüllt eine lange von uns erhobene Forderung. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, wollen wir außerdem gleichwertige ausländische Fachabschlüsse aus dem EU-Raum schneller staatlich anerkennen.
Befürworten Sie Abschiebungen - insbesondere nach Afghanistan?
Asylverfahren müssen für alle Antragstellenden fair sein. Unabhängige Verfahrensberatung und rechtliche Unterstützung müssen gewährleistet werden. Nächtliche Abschiebungen, Abschiebungen aus Schulen, Betrieben, Behörden und Institutionen und die Praxis der Abschiebehaft lehnen wir entschieden ab. Wir bayerische Grüne stehen für eine rechtsstaatlich faire und humanitär verantwortliche Flüchtlingspolitik. Wir setzen uns auch weiterhin entschieden für einen Abschiebestopp nach Afghanistan und in andere Kriegs- und Krisenländer ein und fordern den Bund auf, die Voraussetzungen für ein Ende der derzeitigen inhumanen Abschiebepraxis zu schaffen. Wir machen uns für einen generellen Winterabschiebestopp stark.
Wie sollen die Bürgerinnen und Bürger vor der Schadstoffbelastung durch den Verkehr in München geschützt werden?
Was wir in München brauchen, ist eine wirkliche Verkehrswende, ein Umsteuern vom fossil betriebenem Individualverkehr zu umwelt- und gesundheitsfreundlichen Verkehrsarten wie ÖPNV, Rad- und Fußverkehr. Dazu muss es eine Mischung aus Push- und Pull-Maßnahmen geben: 365-€-MVG-Ticket, U-Bahn-5-Minuten-Takt, Ausbau von Busspuren, Tramwesttangente, Tram durch den Englischen Garten, Radschnellwege etc. auf der einen Seite, Erhöhung der Parkgebühren, Umverteilung von Raum für Autos auf andere Verkehrsarten, autofreie Altstadt auf der anderen Seite. Und auch Fahrverbote sind notfalls auszusprechen, wenn die NO2-Grenzwerte anders einfach nicht einzuhalten sind. Das beste Mittel hierzu wäre die Einführung einer Blauen Plakette die auf 95 % der überlasteten Straßenabschnitte für Abhilfe sorgen könnte. Leider blockiert das CSU-geführte Bundesverkehrsministerium diese sinnvolle Maßnahme seit Jahren.
Welche Koalition wäre für Sie denkbar?
Wir Grüne stehen bereit, um Verantwortung für Bayern zu übernehmen, auch aus der Regierung heraus. Der Schutz der natürlichen Lebengrundlagen und die Überwindung gesellschaftlicher Gräben bleiben unser Ziel und das lässt sich aus der Regierung heraus wirksamer verfolgen als aus der Opposition.
Dafür brauchen wir zuverlässige und verantwortungsvolle Partner, mit denen wir für uns akzeptable Kompromisse aushandeln können. Akzeptabel heißt für uns, dass wir als Teil einer Regierung ein gutes Stück weiter und schneller vorankommen als es uns aus der Opposition heraus möglich wäre.
Es bestehen erhebliche Zweifel, ob dies mit der gegenwärtig stärksten Partei in Bayern, der CSU, möglich ist. Die CSU hat sich in den zurückliegenden Wochen wiederholt als Scharfmacher gegen Flüchtlinge und gegen Migration ganz allgemein positioniert. Sie stellt den Grundkonsens der demokratischen Parteien infrage, nämlich, dass sich politisches Handeln in Bayern auf der Grundlage der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und der europäischen Integration abspielen muss. Das sind in der Tat Punkte, über die wir keinen Kompromiss erzielen können, weil sie für uns nicht verhandelbar sind.
Aber denkbar ist auch, dass die CSU nach dem deutlichen Verlust der absoluten Mehrheit bereit ist, einer Position der Vernunft einzunehmen. Das würde die Möglichkeit von Kompromissen mit der CSU wieder ermöglichen.
Ob es so kommt, bleibt abzuwarten. Hier ist die CSU am Zug, nicht wir Grüne. Unsere Aufgabe sehe ich jetzt darin, bis zur Wahl der Öffentlichkeit zu vermitteln, wer auf der Seite von Demokratie und einem gemeinsamen Europa steht und wer für Menschlichkeit, den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen und die Überwindung gesellschaftlicher Gräben kämpft. Und dann haben erst einmal die Wählerinnen und Wähler das Wort.
Mit freundlichen Grüßen,
Gülseren Demirel