Frage an Grietje Staffelt von Daniel S. bezüglich Kultur
Guten Tag Frau Bettin,
es ist durch zahlreiche wissenschaftliche Studien erwiesen, dass der TV-Konsum besonders für Säuglinge und Kleinkinder - unabhängig vom Inhalt - irreparable Schäden im Gehirn zur Folge hat!
Stimmten Sie dieser Ansicht die u.a. von Manfred Spitzer vertreten wird zu?
Wenn nicht worauf begründet sich Ihr Zweifel?
Und falls dem so ist:
1.) wieso gibt es in Deutschland trotzdem Fernsehsendungen für 0 bis 3-jährige und
2.) was für Schritte werden Sie im Bezug auf die Gefahren von Bildschirmkonsum im Ausschuss für Medien unternehmen?
Vielen Dank für Ihre Antwort
Daniel Sebald
Sehr geehrter Herr Sebald,
vielen Dank für Ihre Nachricht vom 18.12.2007.
Wenn es um den Medienkonsum von Kindern geht, stehen sowohl die Eltern als auch die Rundfunkanbieter in der Pflicht. Erziehungsberechtigte haben die Verantwortung, zu entscheiden, ob der Fernseher oder Computer läuft und was von den Kindern konsumiert wird. Der verantwortungsvolle Umgang mit Medien ist in unserer von Medien geprägten Gesellschaft längst Erziehungsauftrag geworden. Eltern müssen sich mit dem Medienkonsum ihrer Kinder beschäftigen. Der Staat kann und muss hier aber im Rahmen des Jugendschutzes Vorkehrungen treffen, z.B. über Beratungsangebote für Eltern und über verbindliche Altersfreigaben. So kann er festlegen, dass bestimmte Fernsehsendungen erst ab einer bestimmten Uhrzeit ausgestrahlt werden und dass bestimmte Computerspiele an bestimmte Altersgruppen nicht verkauft werden dürfen. In die Wohnzimmer allerdings kann der Staat nicht schauen. Hier liegt es in der Verantwortung der Eltern, dass Kinder für sie ungeeignete Medieninhalte nicht konsumieren.
Die auch vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Verantwortung der Rundfunkanbieter resultiert aus der Suggestivkraft der Bilder. Wer Medieninhalte konzipiert und anbietet, ist auch verantwortlich dafür. Fernsehen ist ein ganz besonderes Medium, es wird besonders intensiv wahrgenommen und wirkt z.B. allein durch die Bilder für viele glaubwürdig, unabhängig vom Wahrheitsgehalt. Daher tragen Anbieter eines Massenmediums wie des Fernsehens eine besondere Verantwortung. Sie haben u.a. dafür Sorge zu tragen, dass Kinder und Jugendliche, die ja in ihrer persönlichen Entwicklung noch nicht gefestigt sind, nicht in Kontakt mit möglicherweise schädigenden Medieninhalten kommen. Daher verbietet der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag die Ausstrahlung unzulässiger Inhalte, die auch das Strafgesetzbuch kennt (wie NS-Propaganda u.ä.) (§ 4 JMStV). Darüber hinaus dürfen entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte nur zu späten Sendezeiten ausgestrahlt werden, in der Kinder in der Regel nicht fernsehen (§ 5 JMStV).
Über Schaden und Nutzen frühkindlichen Fernsehkonsums gehen in der Wissenschaft die Meinungen weit auseinander. Klar ist: Kleinkinder erleben filmische Darstellungen unmittelbar und spontan. Ihre Wahrnehmung ist vorwiegend episodisch ausgerichtet, kognitive und strukturierende Fähigkeiten sind noch kaum ausgebildet. Eine schnelle und positive Auflösung problematischer Situationen ist daher sehr wichtig. Das heißt, Kleinkinder sollten Medien nur sehr dosiert konsumieren, die Eltern hierüber wachen und den Kindern bei der Aufarbeitung des Gesehenen helfen. Ob und welche Sendungen 0 bis 3-Jährige sehen, entscheiden letztlich immer die Eltern. Die Politik hat aber Rahmenbedingungen geschaffen, damit entwicklungsschädigende Inhalte nur zu späten Zeiten oder gar nicht gesendet werden dürfen.
Noch ein paar Worte zu den zitierten Studien: Prof. Dr. Spitzers Studien über den Einfluss von TV-Konsum auf die Entwicklung des kindlichen Gehirns sind in der Medienwirkungsforschung äußerst umstritten. Herr Spitzer bezieht in seiner Forschung schon im Voraus eine polemische Position. Die Kritik, die er gegen Bildschirm-Medien anführt wird, ist vergleichbar mit der Kritik an Romanen im 19. Jahrhundert oder der Verteufelung des Films im frühen 20. Jahrhundert. Er versucht durch amerikanische Studien zu belegen, dass ohne die Erfindung des Fernsehens, jährlich 700.000 Gewaltdelikte nicht stattfänden, es 70.000 Mordopfer nicht gäbe, 10.000 Vergewaltigungen nicht passieren würden und 40.000 Menschen nicht an Herzinfarkten, Zuckerkrankheit und Schlaganfällen sterben müssten. Er geht offenbar davon aus, dass der frühkindliche Fernsehkonsum nahezu allein ursächlich für die von ihm angeführten Verbrechen ist.
Einem Artikel der ZEIT zufolge lassen sich auch in der Zusammenschau von über 5.000 Studien zum Thema Gewalt und Medienkonsum nicht einmal 5 % der realen Gewalttaten auf vorherigen Medienkonsum zurückführen. Hinzu kommt, dass Herr Spitzer auf Laborstudien zurückgreift, die nur kurzfristige Effekte messen. Diese fallen in der Regel dramatischer aus als die von Feldstudien gemessenen langfristigen Effekte. Negative Langzeiteffekte von Medienkonsum konnte die Wissenschaft nach wie vor nicht glaubwürdig belegen.
In meiner Arbeit habe ich mich immer für einen verantwortungsbewussten Umgang mit Medien eingesetzt. Hierzu zählt das angesprochene Problem des Konsums von ungeeigneten Medieninhalten. Bündnis 90/Die Grünen haben im Jahr 2003 in ihrer Regierungsverantwortung den Jugendmedienschutz modernisiert. Die aktuelle Evaluation durch das Hans-Bredow-Institut belegt, dass die rechtlichen Instrumente weitgehend ausreichend sind, dass aber an der Umsetzung der Regelungen gearbeitet werden muss. Wir brauchen keine noch strengeren Gesetze, sondern die konsequentere Umsetzung der bestehenden.
Darüber hinaus beschäftigen wir uns seit einiger Zeit als einzige Bundestagsfraktion mit dem Problem Medienabhängigkeit. Immer mehr Menschen sind in ihrem Medienkonsum nicht mehr selbstbestimmt und zeigen Symptome, wie wir sie von anderen Süchten kennen. Hier muss etwas geschehen, damit die Betroffenen ausreichend Unterstützung erhalten. Unseren Fraktionsbeschluss zum Thema finden Sie hier (pdf): http://www.g-bettin.de/cms/files/dokbin/204/204124.positionspapier_medienabhaengigkeit.pdf
Ich hoffe, ich konnte Ihre Fragen zufriedenstellend beantworten.
Mit freundlichen Grüßen
Grietje Bettin