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Frage von Hans-Günter G. •

Frage an Gregor Gysi von Hans-Günter G. bezüglich Recht

Lieber Genosse Gysi,

vielen Dank für die Antwort zur Beschneidungsdebatte vom 24.07.2012 , die mich nicht überzeugt.

Sie haben völlig Recht, dass auch das Löcher stechen für Ohrschmuck erst bei Jugendlichen die sich selbst entscheiden können, auch von den Juwelieren gemacht werden dürfte. Dass dies nicht der Fall ist, bedeutet nicht, dass das Beschneiden ebenfalls hingenommen werden muss. Sie als Anwalt wissen doch, dass ein nicht verfolgtes Unrecht, ein anderes Unrecht nicht legitimiert.

Finden Sie nicht, dass bei der ganzen Diskussion das Recht des Kindes völlig ausgeblendet wird?
Immer wenn die Rechte der Kinder vordergründig anerkannt werden, folgt fast automatisch immer ein "aber" hinterher, das dann die Tradition der Religionen und die angeblichen Rechte der Eltern als zumindest gleichwertig zu erklären sucht. Ist nicht jedes Aber faktisch die Einwilligung zur Quälerei und seelischer Vergewaltigung?

Wenn Traditionen lange Zeit zelebriert werden, heißt das dann automatisch, dass sie richtig sind?

Sind in der Menschheitsgeschichte nicht auch tausende von Jahren irgendwelchen falschen Göttern Menschenopfer, meist Jungfrauen (!), dargebracht worden?
Muss man nicht in der aufgeklärten Zeit erkennen, dass es keinen Gott gibt, der das Herumschnippeln am Penis von männlichen Säuglingen befiehlt?

Viele Eltern lassen dies an ihren Kindern doch nur geschehen, weil sie den fanatischen Religionslehrern glauben und selbst der Zweifel schon als "Sünde" gilt.

Auch das einbrennen der Brandzeichen bei Fohlen wird bereits in vielen Ländern und Regionen unter Strafe gestellt, weil es den Tieren unnötige Schmerzen zufügt. Sind die Kinder weniger schützenswert als junge Pferde?

Jeder Mensch darf seine Religion und seine Traditionen leben, aber er darf andere Menschen, egal welchen alters, nicht ohne deren Einwilligung schmerzen zufügen oder seine Religion aufzwingen.
Ist das nicht die einzig richtige Maxime?

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Glaser,

offensichtlich war mein Schreiben missverständlich.
Ich wollte nur auf beide Gesichtspunkte hinweisen. Ich unterschätze
keinesfalls das Selbstbestimmungsrecht des Kindes und meine nur, dass
wir auch zum Durchstechen der Ohrläppchen eine andere Haltung einnehmen
sollten. Ab 14 beginnt die Religionsfreiheit und ab 14 sollen
Jugendliche von meinetwegen auch entscheiden, ob sie Löcher in den Ohren
haben wollen oder nicht.

Aber das bedeutet doch nicht, dass ich nicht die Argumente der anderen
verstehe. Letztlich muss man abwägen und jeder für sich selbst
entscheiden. Für mich hat auf jeden Fall das Selbstbestimmungsrecht der
Kinder einen großen Wert.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gysi

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