Frage an Gregor Gysi von Thorsten L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Gysi,
ich schätze Ihre pointierten Reden und Fragen, mit denen Sie die Regierung vor sich her treiben. Ich weiß nicht wie Sie zu dem Urteil des Landgerichts Köln stehen, dass die Beschneidung von Jungen als Körperferletzung verurteilt hat, aber ich hoffe Sie teilen die Auffassung des LG Köln.
Die Bundesregierung wollte ja in einem üblichen Hauruckverfahren eine Lex-Vorhaut beschließen. Inzwischen melden sich aber auch immer mehr ernste Gegner.
In der FAZ von heute ist ein offener Brief veröffentlicht, der von nahmhaften Kindermedizinern und Professoren unterschrieben wurde.
Darin heißt es:
"In diesem Zusammenhang kann die Religionsfreiheit kein Freibrief zur Anwendung von (sexueller) Gewalt gegenüber nicht einwilligungsfähigen Jungen sein. Dies ist für die Zufügung jeglicher Gewalt im Genitalbereich von Mädchen national und international schon lange Konsens. Hinsichtlich der Durchführung medizinisch nicht notwendiger irreversibler Genitalbeschneidungen von Jungen, verbunden mit hohem Risiko für bleibende genitale Beschädigungen und seelische und sexuelle Beeinträchtigungen, muss die öffentliche Debatte und Wahrnehmung offensichtlich noch weiterentwickelt werden."
Sehen Sie es auch so, dass die Bundesregierung darauf eine Antwort geben muss? Wieso sind sexuelle, genitale Verstümmelungen im Genitalbereich von Mädchen reflexhaft Unterdrückung und Teufelszeug, während die genitale und sexuelle Verstümmelung von Jungen hingenommen wird auch das Risiko für bleibende Schäden.
Wieso hat die sexuelle Selbstbestimmung, die sonst im Strafrecht beim Schutz vor sexuellem Missbrauch einen hohen Stellenwert genießt auf einmal keine Bedeutung obwohl die Beschneidung eindeutig und offensichtlich ein Akt sexueller Gewalt ist?
Haben Sie eine Antwort darauf? Wenn nein, sollten Sie der Bundesregierung diese Fragen stellen.
Sehr geehrter Herr Leppert,
Ihre Nachricht vom 22. Juli hat mich erreicht.
Die Fragen, die Sie sich stellen, stellen auch wir uns. Zunächst ist zu kritisieren, dass die Beschneidung eines Jungen niemals ein öffentliches Thema in Deutschland war. Es gibt viel zu wenig Aufklärung. Selbstverständlich geht es um das Selbstbestimmungsrecht eines Menschen. Wenn er als Erwachsener eine solche Entscheidung für sich trifft, ist es etwas anderes als wenn die Entscheidung von Eltern für ihn getroffen wird. Allerdings gibt es natürlich einen Unterschied zur Verstümmelung der Mädchen, die ja danach bei Sexualität nichts mehr empfinden. Das ist bei der Beschneidung bei Jungen nicht gegeben. Die Frage der Körperverletzung steht allerdings auch, wenn die Ohren von Kindern durchlöchert wird, damit sie Ohrringe tragen können. Auf jeden Fall ist uns das Selbstbestimmungsrecht der Menschen sehr viel Wert. Auf der anderen Seite gibt es natürlich eine tausendjährige Tradition und man verletzt das Gefühl vieler Eltern, wenn man ihnen dies untersagt. Der Konflikt muss auf jeden Fall gelöst werden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gysi