Frage an Gregor Gysi von Guido D. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Gysi,
vorab meinen Dank für Ihre Arbeit und Ihre vielen Antworten auf diesem Forum. Alle Ihre Reden, soweit ich sie hören konnte (z.B. im webtv des Bundestags) waren ein Genuß, zu hören. Ich sehe die Linksfraktion als einzige, die noch zum Grundgesetz steht!
Sie haben bereits viele Fragen zum ESM beantwortet, deshalb nur Folgendes:
1) In den letzten Tagen mehren sich die Anzeichen, daß der nächste Schritt nach der Ratifizierung des ESM die Abschaffung des Grundgesetzes werden könnte, wie auf der Titelseite der Süddeutschen Zeitung vom 26.06.2012 zu lesen, und es wird bereits - zum Beispiel im Leitartikel der Stuttgarter Zeitung vom selben Tag - Stimmung gegen unser GG gemacht.
Ich habe höchste Bedenken gegen eine neue Verfassung gemäß §146 GG, denn ich befürchte, damit wird uns - bei den derzeitigen Verhältnissen - etwas untergejubelt wie der Lissabon-Vertrag (der z.B. vordergründig die Menschenrechte bejaht, in einem Zusatzartikel aber etwa die Todesstrafe wieder möglich macht, z.B. Nürnberger Zeitung vom 3.9.2009). Ich befürchte, eine neue Verfassung enhält dann nicht mehr den Artikel zum Gemeinwohl des Eigentums (14.2GG) oder die Klausel ´´sozialer´´ Bundesstaat (20.1GG), stattdessen radikale freie Marktwirtschaft usw.
Wie kann erreicht werden, die besten Eigenschaften des GG in einer neuen Verfassung beizubehalten?
2) Ich habe den ESM Vertragsentwurf gelesen, sehe darin ein Ermächtigungsgesetz und kann als juristischer Laie nicht begreifen, wie deutsche Anwälte oder Juristen so einen Vertrag überhaupt für rechtmäßig halten können. Nach meinem Verständnis ist der Vertragsentwurf sittenwidrig und
verstößt gegen das Rechtsstaatsprinzip, gegen demokratische Prinzipien überhaupt, nicht nur gegen das Grundgesetz. Ich sehe auch keine Vereinbarkeit mit dem Prinzip der Gewaltenteilung.
Weshalb gibt es (so gut wie) keine Stimme, die das klar bennent? Oder liege ich falsch?
Für eine Antwort meinen besten Dank,
hochachtungsvoll,
G.Deimel
Sehr geehrter Herr Deimel,
vielen Dank für Ihre Nachricht vom 29. Juni.
Da offenkundig die Bildung einer Europäischen Föderation angestrebt wird, müssten Befugnisse des Bundestages und der Bundesregierung auf europäische Strukturen übertragen werden. Das ginge mit dem Grundgesetz nicht. Dann müsste wirklich eine neue Verfassung geschrieben werden, die durch Volksentscheid gemäß Art. 146 GG angenommen wird. Es kommt auf die Haltung der SPD, der Gewerkschaften, der Kirchen und von uns an, welche Fassung die neue Verfassung erhielte. Selbstverständlich müssten die Art. 1, 14, 15 und 20 unbedingt gesichert werden. Darüber hinaus müssten wir Vorstellungen entwickeln, wie wir uns eine Europäische Föderation vorstellen.
An den Zeitungsartikeln sehen Sie aber, dass es höchste Zeit wird, dass wir uns darauf vorbereiten. Zunächst würde ich aber die Kräfte, die für eine vernünftige Verfassung streiten, einschließlich sozialer Grundrechte nicht gering schätzen. Es kann auch zu einer Mobilisierung führen.
Ich hoffe, dass Sie mit uns mit streiten und mit kämpfen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gysi