Frage an Gregor Gysi von Hans-Günter G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Genosse Gysi,
zwei Tage habe ich bei PHÖNIX den Parteitag in Göttingen verfolgt. Mit dem Resultat der Vorstandswahlen kann ich gut leben, doch mit dem Zustandekommen habe ich Probleme.
Ob im Wahlkampf oder auch im Bundestag, waren mir Ihre Reden immer ein Highlight, genauso wie die Reden von Oskar Lafontaine. Doch Ihre Rede auf dem Parteitag hinterließ bei mir sehr gemischte Gefühle.
Einerseits fand ich Ihre klaren und warnenden Worte hinsichtlich des Zustandes unserer Partei im Inhalt richtig und im Ton eindringlich, doch am Rednerpult des Parteitages am falschen Ort.
Sie, als auch Lafontaine befürworteten den Streit um die Sache für richtig und notwendig, in einer lebendigen Partei, doch persönliche Anfeindungen und Streitereien sollten intern, jedoch nicht in der Öffentlichkeit ausgetragen werden,.
Aber genau dies haben Sie getan, als Sie von Hass in der Fraktion die ganze Welt wissen ließen. Sie wussten, dass die Medien geradezu lauerten auf die Aussicht, dass dieser Parteitag ein Schauspiel des Hauen und Stechens zu werden versprach.
War Ihnen nicht bewusst, dass von Ihrer Rede alle Passagen vergessen und nur noch der angeblich herrschende Hass in der Linksfraktion, die Schlagzeilen der kommenden Tage beherrschen wird?
Der Gipfel Ihrer schockierenden Rede war Ihre empfohlene Spaltung der Partei, sollten die Intrigen und Grabenkämpfe weitergehen.
Wäre statt einer Spaltung der Partei, nicht eine Trennung von den Intriganten und Grabenkämpfern die richtige und befreiende Lösung?
Sind nicht die rücksichtslosen Karrieristen, die der angestrebten Macht willen z. B. auch unseren Ruf als absolute Friedenspartei einem faulen Kompromiss opfern würden, die wahren Feinde der Partei?
Wäre dies nicht auch ein Signal an jene, die behaupten, wenn die Linke an die Tröge der Macht will, werden sie ihre Ideale verraten?
Mit besorgten, dennoch solidarischen Grüßen
Hans-Günter Glaser
Lieber Genosse Glaser,
vielen Dank für Deine Nachricht vom 3. Juni.
Die Tatsache, dass es in unserer Fraktion auch Hass gibt, ist den Journalistinnen und Journalisten längst bekannt. Die Situation war vorher derart zugespitzt, dass ich keine andere Chance gesehen habe, in die Strukturen einzugreifen.
Ich habe die Spaltung auch keineswegs empfohlen, sondern gesagt, dass sie dann der bessere Weg ist, wenn tatsächlich die Gruppe über die Gruppe B oder die Gruppe B über die Gruppe A bei den Vorstandswahlen gewinnt. Denn dann würde sich ein beachtlicher Teil der Partei so ausgegrenzt fühlen, dass man mit solchen Folgen rechnen musste. Der Parteitag hat daraufhin sehr viel klüger gewählt. Der Vorstand ist neu und viel besser und gerechter zusammengesetzt. So dass diese Gefahr nicht mehr besteht. Aber ich bezweifle, dass der Vorstand so zusammen gewählt worden wäre, wenn es vorher nicht meine Rede gegeben hätte.
Nun gehe ich wieder als Optimist an die Erfüllung unserer Aufgaben ran, werde auch die neue Leitung unterstützen. Wir werden sehen, ob wir wieder politischer und wirkungsvoller werden.
Mit solidarischen Grüßen
Gregor Gysi