Frage an Gregor Gysi von Kevin P. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Dr. Gregor Gysi ,
Zunächst einmal möchte ich ihnen mein größtes Lob für Ihre Arbeit im deutschen Bundestag aussprechen. Ich persönlich halte sie für einen der fähigsten Politiker dort und finde es zudem bewundernswert , dass sie fast alle Fragen hier selbst beantworten.
Dies , und ihr überzeugendes Programm , sind gute Gründe am 13. Mai in NRW und auf Bundesebene "Die Linke" zu wählen.
Nun zu meiner eigentlichen Frage:
Ich habe mich in letzter Zeit viel mit dem Grundgesetz auseinander gesetzt.und interessiere mich besonders für Artikel 146. Vllt. können Sie mir Auskunft über meine Frage geben.
Den Artikel 146 kennen SIe als Jurist und Abgeordneter warscheinlich, aber ich möchte Sie fragen ob Deutschland somit streng genommen keine eigene Verfassung besitzt und ob dann nicht der Begriff Bundesrepublik falsch ist. Ich bin nämlich Schüler und habe Geschichtsleistungskurs und uns wurde beigebracht , dass eine Verfassung eine Grundvorraussetzung für eine Republik ist.
Und wenn dem so ist , warum hat dann noch nie ein Politiker, eine Partei , oder eine Regierung eine Verfassung ausgearbeitet und darüber eine Volksabstimmung veranstaltet?
Denn streng genommen sind wir ja nach diesem Artikel Verfassungslos und das deutsche Volk hätte das Recht eine Verfassung zu bestimmen , welche das Grundgesetz ablöst.
Ich würde mich über eine Antwort von Ihnen sehr freuen ,
Mit freundlichem Gruß ,
Kevin Petring
Sehr geehrter Herr Petring,
vielen Dank für Ihre Nachricht vom 16. April, zumal ich mich über Ihre Würdigung sehr gefreut habe.
Die Bundesrepublik Deutschland gründete sich bekanntlich ohne jenen Teil Deutschlands aus dem die DDR wurde und auch ohne jene Gebiete Deutschlands, die von der Siegermächten Ländern wie der Tschecheslowakei und Polen zugeordnet wurden. Deshalb wurde ein Grundgesetz beschlossen, dass die Rolle einer Verfassung spielt. Allerdings wurde für den Fall der Deutschen Einheit geregelt, dass dann eine Verfassung durch Volksentscheid anzunehmen sei, die das Grundgesetz ablöse. Bekanntlich ist im Oktober 1990 die DDR dem Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gemäß dem damaligen Art. 23 beigetreten. Der Artikel musste auf Verlangen der Siegermächte gestrichen werden, damit klar war, dass es nie wieder eine Möglichkeit gibt, dass Teile Polens oder Tschechiens ebenfalls dem Geltungsbereich des Grundgesetzes beitreten. Die Chance wurde aber nicht genutzt, eine neue Verfassung zu diskutieren und durch Volksentscheid anzunehmen. Unsere Fraktion hatte bereits Anfang der 90er Jahre eine Verfassung zu diesem Zwecke dem Bundestag vorgelegt. Selbstverständlich ist unser Begehren abgelehnt worden. Allerdings ist der Art. 146 des GG auch bei der Vereinigung nicht gestrichen worden. Ich würde also sagen, wir haben eine Verfassung in Form des Grundgesetzes, es besteht auch die Bundesrepublik Deutschland, aber es bleibt die Aufgabe, das Grundgesetz durch eine Verfassung abzulösen. Die Aufgabe könnte jetzt aktuell besonders deutlich werden, da die Bundesrepublik mit der Annahme des Fiskalpaktes erste Schritte zur Bildung einer europäischen Föderation beschreitet. Eine solche sieht das Grundgesetz nicht vor. In diesem Fall brauchten wir ohnehin eine neue Verfassung, die nur durch Volksentscheid angenommen werden kann.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gysi