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Gregor Gysi
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Frage von Wilfried S. •

Frage an Gregor Gysi von Wilfried S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Guten Tag, Herr Dr. Gysi.

Ihre Rede zum Fiskalpakt habe ich unter diesem Titel "Merkel & Schäuble unterschreiben grundgesetzwidrigen ESM und Fiskalvertrag" auf You Tube gehört.
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, würde die Ratifizierung des Vertrages die Ewigkeitsklauseln des Grundgesetzes aushebeln. Das Parlament entmächtigte sich in diesem Falle faktisch selbst.

Eine Frage dazu: Wäre der Vertrag dennoch rechtswirksam, stimmte eine Mehrheit der Volksvertreter dafür?

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Steinicke,

Ihre Nachricht vom 3. April hat mich erreicht.
Die verfassungswidrigkeit strukturiert sich etwas anders. Der Fiskalvertrag ist unkündbar. Dadurch würden drei Artikel des Grundgesetzes dauerhaft festgeschrieben werden, obwohl der Artikel 79 Abs. 1 u. 2 vorsieht, dass auch diese Artikel geändert werden können. Damit stimmte der Bundestag einem Vertrag zu, der den Art. 79 Abs. 1 u.2 Grundgesetz aushebelt. Auf der anderen Seite ist es so, dass der Art. 79 Abs. 3 festschreibt, was niemals geändert werden darf. Dazu gehören die Grundsätze des Art. 20 des GG. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Lissabonurteil festgestellt, dass dazu die demokratische Grundstruktur der Bundesrepublik gehört. Diese schließt die ausschließliche Budgethoheit und Kredithoheit des Bundestages ein. Durch den Fiskalvertrag könnten aber europäische Institutionen wirksam und verbindlich in die Budgethoheit des Bundestages eingreifen. Auch das darf wiederum nicht beschlossen werden, weil es dem Art. 20 und dem Art. 79 Abs. 3 widerspricht.

Bundestag und Bundesrat können dennoch mit 2/3-Mehrheit den Vertrat ratifizieren. Er ist dann erst einmal rechtswirksam. Allerdings haben wir schon beschlossen, dagegen eine Organklage beim Bundesverfassungsgericht zu erheben. Das letzte Wort liegt dann beim Bundesverfassungsgericht. Dieses ist in einer schwierigen Situation, denn es hat noch niemals einen völkerrechtlichen Vertrag aufgehoben. Wenn das Bundesverfassungsgericht aber den Vertrag so bestehen bleiben lässt, wie er gegenwärtig lautet, muss es seine bisherige Rechtsprechung aufgeben. Es gäbe nur noch eine Lösung, auf die ich hinwies. Entweder gehen Bundestag und Bundesrat von sich aus den Weg, den Art. 146 des GG zu verwirklichen oder das Bundesverfassungsgericht verlangt dieses. Dann müsste eine neue Verfassung geschrieben werden, die wichtige Teile des Grundgesetzes übernimmt, die aber die Bildung einer europäischen Föderation vorsieht und die durch einen Volksentscheid bestätigt werden muss. Dann würde das Grundgesetz gem. Art. 146 abgelöst werden durch eine vom Volk angenommen Verfassung.

Auch ich bin gespannt, wie sich die Dinge weiter entwickeln werden.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gysi

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