Frage an Gesine Lötzsch von Gerhard R. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Dr. Lötzsch,
am 21.9. schrieb Herr Wolfgang Wieland in Abgeordnetenwatch in seiner Antwort an Herrn Karsten, daß die Luftbilder der Tornados sogar die Unterscheidung zwischen bewaffneten und unbewaffneten Gruppen ermöglichen. Müßte es dann nicht auch möglich sein, die Taliban erst nach dem Verlassen von Dörfern aus der Luft anzugreifen?
Falls ja: Warum werden trotzdem Dörfer bombardiert?
Vor längerer Zeit hatten israelische Piloten Befehle zur Tötung von Terroristen verweigert, weil sie den Tod von Frauen und Kindern nicht in Kauf nehmen wollten. Deutsche Abgeordnete und die Piloten in den Tornados wissen, daß die Luftbilder der Tornados auch zur Bombardierung von Dörfern benutzt werden.
Haben vor diesem Hintergrund deutsche Piloten das Recht und die moralische Pflicht zur Befehlsverweigerung?
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Reth
Sehr geehrter Herr Reth,
zunächst vielen Dank für Ihre Mail. Ich stimme mit Ihnen vollkommen überein, dass einer Politik, wie sie die Bundesregierung an den Tag legt, die zivile Opfer in Kauf nimmt und Hass sät, statt Terroristen zurückzudrängen, entgegengewirkt werden muss. Die Position der Bundesregierung, dass die Tornado-Einsätze ausschließlich der Aufklärung dienen, geht schlichtweg an der Realität vorbei. Die Militäreinsätze in Afghanistan haben zu mehr Gewalt und mehr Terror im Lande geführt und viele zivile Opfer gekostet. Die Taliban leben nicht mehr in Afghanistan, sondern kommen zu Kämpfen aus Pakistan nach Afghanistan „angereist“. Die Bundeswehr muss insgesamt aus Afghanistan abgezogen werden. Der erste und vordringliche Schritt dazu ist aber, die deutsche Beteiligung am sogenannten Anti-Terror-Einsatz Enduring Freedom sofort zu beenden und auch künftig auszuschließen. Denn gerade diese Operationen haben zur Gewalteskalation im Lande beigetragen.
Bezug nehmend auf Ihre Frage, ob deutsche Piloten das Recht und die moralische Pflicht zur Befehlsverweigerung haben, wenn die zivile Bevölkerung durch Einsätze gefährdet wird, möchte ich folgendes anbringen. Sobald Bundeswehrsoldaten der Annahme sind, dass bei einem Einsatz zivile Opfer nicht ausgeschlossen sind, haben sie das Recht den Befehl zu verweigern, da es sich in diesem Fall um einen Verstoß gegen das Völkerrecht handelt. Die Bundesrepublik Deutschland darf sich nicht an völkerrechtswidrigen Militäreinsätzen beteiligen. Aus diesen Gründen hatte sich die Linksfraktion dazu entschlossen, eine einstweilige Verfügung vor dem Bundesverfassungsgericht zu erzwingen, „so dass die Tornados gar nicht erst starten dürfen“ (Norman Paech, außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion).
Mit dieser Organklage wollten wir einerseits eine weitere Kriegsbeteiligung der Bundeswehr verhindern und andererseits das Interesse der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung – etwa 70% der Deutschen sind laut den letzten Umfragen gegen den Tornado-Einsatz – mit Hilfe unseres Fraktionsstatus parlamentarisch vertreten. Seien Sie gewiss, dass die Linksfraktion auch in Zukunft Ihrer oppositionellen Pflicht nachkommen wird, um endlich die Abkehr von der militärischen Eskalationsstrategie einzuleiten.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gesine Lötzsch, MdB