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Gesine Lötzsch
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Frage von Gregor B. •

Frage an Gesine Lötzsch von Gregor B. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrte Frau Lötzsch,

ich hätte gerne gewußt, wie sie sich eigentlich strukturelle Nichtangriffsfähigkeit vorstellen?
Zum einen ist ja nahezu jedes Waffensystem mit einem Flugzeug oder U-Boot verlegbar.Ihrer Logik nach müßte man dann alle Waffen abschaffen:Stellen sie sich dann eine Art paramilitärisches Milizensystem vor, das auf Guerillataktik und Häuserkampf im Verteidigungsfalle setzen würde.Das würde im Konfliktfall in Deutschland eine Trümmerwüste ala Afghanistan hinterlassen.Zum anderen halte ich ihre Vorstellung gelinde gesagt für etwas naiv. Im internationalen Kräftegleichgewicht zählt immer auch noch militärische Stärke als letztes Mittel und im Hintergrund.Ansonsten machen sie doch einen Staat wehrlos und gegenüber jeder Art politischer, militärischer und/oder wirtschaftlicher Erpressung offen.Mag zwar Deutschland momentan von Freunden umgeben sein, ist es doch ungewiss, wie die weitere politische Entwicklung in Rußland in den nächsten 20-30 Jahren ist.Oder wollen sie aus der NATO austreten und die Shanghai Cooperation Organization in ein eurasiches Bündnis umbauen oder mit Rußland ein Bündnis eingehen?Oder soll Deutschland neutral wie die Schweiz werden?
Zum dritten wäre der Parlamentsvorbehalt der deutschen Armee zu beachten.Dieser würde wahrscheinlich bei einer europäischen Truppe wegfallen oder solte dies dann der Maßstab sein?Quasi als Parlamentsvorbehalt des Europäischen Parlaments?Zum vierten hätte ich gerne gewußt, ob sie der Aussage von Freiherr von und zu Guttenberg (CSU) zustimmen können, daß die primäre Aufgabe deutscher Sicherheitspolitik nicht mehr die Abschreckung, sondern die Schaffung eines "europäischen Sicherheitsraumes" ist?

Mit freundlichen Grüssen

Greogor Binder

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Sehr geehrter Herr Binder,

vielen Dank für Ihre Mail. Die Problematik der Herstellung von Waffensystemen, die eine ausschliessliche strukturelle Nichtangriffsfähigkeit bieten, gestaltet sich in der Tat schwierig, da auch Defensiv-Waffen, wenn Sie verladen werden und andernorts eingesetzt werden, um die dortigen Offensiv-Waffensystem zu verteidigen, eine indirekte Offensivwaffe darstellen. In der LINKEN. wird hierzu diskutiert und überlegt, an welche Art von Waffen, die wirklich nur defensiv einzusetzen sind, man denken kann. Der Diskussionsprozess ist in Gange.

Die Frage nach paramilit. Milizen als Substitut der bisherigen Bw. stellt für die LINKE. definitiv keine ernstzunehmende Option dar. Eine Bundeswehr, die das deutsche Territorium gegen äußere Angriffe verteidigt wird seitens der LINKEN. nicht in Frage gestellt. Leider jedoch übt sich die Bw - auch nach eigenem Bekunden - weniger in der territorialgebundenen Selbstverteidigungsfunktion als vielmehr in einer globalen Interventionsfunktion, die zwar immer noch als Selbstverteidigung bezeichnet wird, was jedoch völkerrechtlich absolut abwegig ist und sein muß, wenn nicht wieder das Recht des Stärkeren über dem Gesetz stehen soll. Aber genau dies betreibt die Bundesregierung an der Seite ihrer NATO-Partner. In der Tat fordern wir die LINKE. die Abschaffung der NATO, da sie kein Verteidigungsbündnis mehr ist, sondern ein Bündnis von Staaten, die entweder über die Instution NATO völkerrechtswidrige Angriffskriege (Jugoslawien) oder aber unter Hinzuziehung von NATO-Strukturen völkerrechtswidrige Angriffskriege (Operation Enduring Freedom, Irak-Krieg) führen. Nicht Russland oder China, brechen die internationale Rechtsordnung in Fragen von Frieden und Krieg wiederholt und substantiell, sondern leider das so genannte westliche Wertebündnis.

Warum ist das Beispiel der neutralen Schweiz denn so abwegig? Die Schweiz ist ein weltweit anerkannter ziviler Akteuer mit Einflußpotentialen in der internationalen Politik. Es ist doch eher traurig, dass Macht sich weniger über humanistisch determinierter Politik als über die Menge der Waffenpotentiale und ihres Einsatzes gegen souveräne Staaten definiert.

Eine europäische Verteidigungsarmee wird ja von der LINKEN. nicht als solches abgelehnt. Allerdings stellt sich hier erneut die von Ihnen zu Recht formulierte Frage nach der Tauglichkeit des Prinzips der strukturellen Nichtangriffsfähigkeit. Auch, und das ist nicht weniger wichtig, wenn eine europäische Armee, dann aber unter Auflösung der nationalen Armeen. Eine Duplizierung von Streitkräftestrukturen und -potentialen lehnen wir dezidiert ab.

Die Aussage von Freiherr von und zu Guttenberg im Hinblick auf den neuen Auftrag der Bundeswehr(nicht mehr Abschreckung, sondern europäischer Sicherheitsraum) ist gelinde gesagt, zu unpräzise. Dies kann alles bedeuten in einem Spektrum von einer reinen europäischen territorial gebundenen Verteidigungsarmee bis hin, zu einer EU-Armee, die die Sicherheit Europas an der Peripherie, d.h. im Zweifelsfall weltweit, verteidigt, gem. der Aussage, Gefahren müßten dort bekämpft werden, wo sie entstehen, was dem internationalen Krieg Tür und Tor öffnet.

Ich hoffe, Ihnen hiermit ein Bild über die sicherheitspolitischen Vorstellungen der LINKEN. vermittelt haben zu können.

Mit freundlichem Gruß

Dr. Gesine Lötzsch

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