Frage an Gesine Lötzsch von Christian S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Dr. Lötzsch,
denken Sie, die Deutschen lassen sich von Medien manipulieren und können sich kein eigenes Bild der LINKEN machen? Mit folgender Aussage legen Sie zumindest nahe, es gäbe keine Möglichkeiten Aussagen, Standpunkte, Wahlversprechen und Herkunft gewisser Personen sowie deren Gesinnung der LINKEN zu überprüfen:
"Wenn Sie die Medien verfolgen, werden Sie auch nur wenig über unsere Vorschläge erfahren. Dafür umso mehr über angebliche Skandale und Konflikte in unserer Partei. "
Vor allem zahlreiche Skandale bei SPD, CDU, FDP und Grünen wurden fast ausschließlich nur durch Journalisten aufgedeckt. Auch die Konflikte und Flügelkämpfe der Parteien fanden immer zahlreiche Veranschaulichungen in den Medien. Wollen Sie Ihre Partei davon ausnehmen?
DIE LINKE hat viele Vorschläge, viele davon sind sogar richtig und werden entgegen Ihrer Wahrnehmung durch die Medien auch wiedergegeben.Nur ein Beispiel von heute1. Kann es aber vielleicht auch sein, dass was DIE LINKE von anderen Parteien unterscheidet, sie in den Medien wenig bis gar keine -Lösungen- vorstellt? Sie fordert "Weg mit Hartz 4, raus aus der NATO, Verstaatlichung aller Privatbanken" etc. Das sind absolute Forderungen, die mit den anderen Parteien im Bundestag nicht zu machen sind. Sehen Sie sich deswegen nicht in einer Bredouille, da Koalitionen nun mal Kompromisse bedeuten?
Im Entwurf 2 verspricht Ihre Partei u.a. (Punkt 324) "jährlich 100 Milliarden Euro, für Bildung und Gesundheit", "100 Milliarden Euro für einen Zukunftsfonds" sowie "2 Millionen neue Arbeitsplätze" zu schaffen. Das sind nette Vorschläge. Wie sie das bewerkstelligen will (Lösung), ist mir bisher jedoch wiedermal verborgen geblieben.
Ich bitte Sie um Stellungnahme.
MfG
Christian Selmes
1 http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,624139,00.html
2 http://die-linke.de/fileadmin/tpl/gfx/wahlen/pdf/BTW_Wahlprogramm_full_final_revMS_090511-1045.pdf
Sehr geehrter Herr Selmes,
vielen Dank für Ihre E-Mail.
Sicherlich gibt es in unserer Medienlandschaft viele Zeitungen, Fernseh- und Radiosender und Internetauftritte, die sich weder seriös-investigativ noch aufklärerisch an der öffentlichen Debatte beteiligen. Vornehmlich bei den Boulevardmedien gibt es die Tendenz, die wahren gesellschaftlichen Widersprüche mit einem sensationslüsternen Journalismus zu kaschieren. Sie haben doch sicherlich noch den Hetzjounalismus der Springer-Presse in den 60er und 70er Jahren in Erinnerung, der oppositionelle und alternative Kräfte massiv bekämpfte.
Ich denke, dass auch gegenwärtig Medien eine bestimmte Macht in der Öffentlichkeit ausüben, die die Bürger in ihrer politischen Meinungsbildung stark beeinflussen. Vor allen Dingen in den letzten Jahren haben große Teile der Medienlandschaft den neoliberalen Zeitgeist mitgeprägt. Diese forderten erfolgreich von der Politik Reformanstrengungen, die "Reform" nicht mehr als eine Verbesserung des Lebens der Menschen begriffen, sondern im Gegenteil Arbeitnehmerrechte beschnitten, Sozialleistungen kürzten, Unternehmensteuern auf Kosten der Allgemeinheit senkten und den Finanzmarkt grundlegend liberalisierten. Insbesondere Letzteres erleben wir derzeit als Ursache für die größte Krise der letzten Jahrzehnten mit noch nicht absehbaren ökonomischen, sozialen und politischen Folgen. Dass ein Großteil der Medien die öffentliche Meinungsbildung derart beeinflusst hat und nie auf etwaige Fehlentwicklungen oder Alternativen zur Mehrheitsmeinung hinwies, ist sicherlich ein Beleg dafür, inwiefern Presse und Rundfunk manipulativ auf die Entscheidungsfindung von Bürgerinnen und Bürger einwirken können.
Ich denke schon, dass in den letzten Monaten unsere parteiinternen Auseinandersetzungen größere Aufmerksamkeit in den Medien fanden als unsere alternativen Vorschläge zum Krisenmanagement der großen Koalition. Herr Selmes, Sie müssen bedenken, dass Journalisten auch politisch denken und spezifische Interessen vertreten. Diese entsprechen -wie man sich vorstellen kann- nur selten unseren gesellschaftlichen Vorstellungen. Da man aber uns als Partei DIE LINKE nun nicht mehr völlig ignorieren kann, ist es aber aus deren Sicht verständlich, eher parteiinterne Auseinandersetzungen als unser inhaltliches Programm zum Thema zu machen.
Sie haben Recht. DIE LINKE vertritt Positionen, die von den anderen Parteien im Bundestag nicht geteilt werden. Diese aber aufzugeben oder zu relativieren, bedeutete den Verlust unserer Identität. DIE LINKE gibt es nur im Zusammenhang mit ganz bestimmten Inhalten: Überwindung von Hartz IV und den Arbeitsmarktgesetzen der Agenda 2010,Einführung eines gesetzliche Mindestlohnes, Steuergerechtigkeit und Ablehnung von Kriegseinsätzen der Bundeswehr.
Sofern diese Punkte Gegenstand eines Koalitionsvertrages werden, wäre DIE LINKE bereit, sich an der Regierung zu beteiligen. Anderenfalls werden wir unserer Verantwortung in der Opposition mit einer starken Bundestagsfraktion gerecht. Dort werden wir - wie in den vergangenen Jahren - Gesetzesänderungen einbringen, mit denen unsere Vorschläge zu finanzieren sind. Denn mit einem gerechten Steuersystem, was sich lediglich an den Steuersätzen für Unternehmen, Aktionäre und Besser-und Bestverdiener orientierte, die bei unseren europäischen Nachbarn erhoben werden, sind all unsere Initiativen finanzierbar. Vorschläge für mehr gesellschaftliche Gerechtigkeit finden Sie unter diesem Link: http://www.linksfraktion.de/thema_der_fraktion.php?artikel=1798756730
Mit den besten Wünschen für Ihre Zukunft und
mit freundlichen Grüßen verbleibt,
Ihre Gesine Lötzsch