Frage an Gesine Dräger von Marie E. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Dräger,
ich verfolge seit einiger Zeit die Diskussion um das Feierabend-Parlament in den Medien. Hamburg ist das einzige Bundesland mit einem solchen Parlament.
Sind sie dafür oder dagegen?
Nennen Sie bitte Gründe!
Vielen Dank und mit freundlichen Grüßen,
Marie Erdmann
Sehr geehrte Frau Erdmann,
laut Hamburger Verfassung soll die Vereinbarkeit des Amtes eines Bürgerschaftsabgeordneten mit einer Berufstätigkeit gewährleistet sein.
Dadurch soll gewährleistet sein, dass
* Hamburger Abgeordnete den eigenen Beruf als wirtschaftliches Standbein nicht aufgeben müssen und mit der wirtschaftlichen Unabhängigkeit auch die politische Unabhängigkeit bewahren können
und
* Hamburger Abgeordnete den Kontakt zu Arbeits- und Lebenswelt nicht nur durch Gespräche und Informationen aus zweiter Hand, sondern auch durch eigene tägliche Arbeit bewahren.
Aus meiner Sicht sollte man an diesem guten Prinzip des Teilzeitparlaments festhalten. Nebenbei macht diese Regelung das Hamburger Parlament auch zu den republikweit günstigsten, da das gezahlte Entgelt die Abgeordneten im Vergleich zu anderen Bundesländern deutlich niedriger liegt - schließlich muss es nicht allein den Lebensunterhalt etc. des Abgeordneten erhalten, sondern ergänzt das normale Gehalt.
Allerdings möchte ich nicht verschweigen, dass es eine Reihe von unerwünschten Konsequenzen gibt. Auch wenn das Gesetz vorschreibt, dass niemand durch seine berufliche Tätigkeit gehindert wird, sein Abgeordnetenmandat wahrzunehmen, ist es doch nicht in allen Berufen möglich, seine Arbeitszeit zu reduzieren bzw. an die Notwendigkeiten des Mandats anzupassen. Das bedeutet, dass ein Mandat für viele Menschen nicht möglich ist, da sie allein durch die Diät finanziell nicht abgesichert sind, ihren Beruf - wenn überhaupt - nur unter starken Einschränkungen fortsetzen können. Auch daher haben wir zu wenig Menschen aus der freien Wirtschaft im Parlament. Angestellte und Arbeiter, die nicht dem öffentlichen Dienst angehören, sind unterrepräsentiert. Dies ist auch beim Vollzeitparlament zu beobachten, auch wenn das dort weniger an der Arbeitszeit liegt als an den Problemen beim Wiedereinstieg.
Das neue Wahlrecht wiederum soll bei den Abgeordneten (und den Kandidaten) zu einer verstärkten Arbeit in den Wahlkreisen kommen. Diese Arbeit wird bereits jetzt von vielen Abgeordneten geleistet. Ein Mehr bedeutet auch ein Mehr an Arbeit insgesamt - schließlich fallen die anderen Aufgaben im Parlament usw. nicht weg. Es wird zu überprüfen sein, ob sich das dann noch mit dem Status eines Teilzeitabgeordneten verbinden lässt - ich würde es bedauern, wenn man zu dem Schluss käme, nein.
Übrigens: auch in Bremen gibt es Teilzeitparlamentarier.
Mit freundlichen Grüßen
Gesine Dräger