Frage an Gerlef Gleiss von Gisela W. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Dieser Tage hat sich Peter Grottian (Hochschullehrer für Politikwissenschaft/ FU Berlin; Sprecher der attac-AG ArbeitFairTeilen) mit einem m.E. cleveren Vorschlag bzgl. der diesjährigen Lohnrunde im Öffentlichen Dienst geäußert:
"... Vernünftige Gehaltserhöhungen anstreben und etwas für gute öffentliche Dienstleistungen tun! Wie ständen die Gewerkschaften da, wenn sie sagten: Wir haben zwar eine recht hohe Tarifforderung, aber wir denken nicht nur an unsere Taschen, wie jene zu recht gescholtenen Manager, sondern wir wollen von den acht Prozent bis zu 1,5 Prozent in Kitas, Schulen, Förderprogramme für Migrantenkinder, Hochschulen und andere Bildungseinrichtungen investieren. Wir, die Gewerkschaften, sind für eine Ausweitung qualitativ notwendiger öffentlicher Dienstleistungen. Wir wollen eine Tarifrunde für mehr Beschäftigung. Wir würden freilich - könnten die Gewerkschaften fortfahren - einen solchen neuen Typus von Tarifvertrag nur unterzeichnen, wären wir sicher, dass es diese Dienstleistungen tatsächlich gibt. Das wäre machbar, würden öffentliche Arbeitgeber und Gewerkschaften das Finanzvolumen und die Schwerpunkte für Bildungsinvestitionen gemeinsam festlegen. Dem Bundestag und den einzelnen Kommunen bliebe überlassen, wo die sinnvollsten Projekte finanziert werden. ...." ( http://www.freitag.de/2008/03/08030402.php )
Wäre das auch ein Modell für Hamburg?
Was halten Sie überhaupt von dem Vorschlag?
Guten Tag Frau Walk,
vielen Dank für Ihre Frage.
Ich halte es grundsätzlich für richtig, wenn die Gewerkschaften und ihre Tarifkämpfe "politischer" werden. ArbeitnehmerInnen sind eben nicht nur ArbeitnehmerInnen, sondern auch Patienten, Eltern, sie werden alt, können behindert, chronisch krank oder pflegebedürftig werden. Umweltschutz, Verkehr, Bildung gehen uns alle an und sind selbstverständlich Themen, bei denen die Gewerkschaften mit allen ihren Mitteln mitmischen müssen.
Die strikte Trennung zwischen "betrieblichen" und "politischen" Kämpfen" ist falsch, zumal die Gewerkschaften durch den Klassenkampf von oben und durch eigenes Zutun inzwischen so geschwächt und kampfunfähig geworden sind, dass sie auch Bündnispartner außerhalb der Betriebe dringend brauchen.
Peter Grottians Vorschlag geht in diese Richtung. Ich halte ihn dennoch für nicht ganz zu Ende gedacht. Zunächst brauchen die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, zumindest die unteren Gehaltsgruppen die geforderte Lohnerhöhung für sich. Den Luxus des Abgebens kann sich vielleicht ein Professor leisten. Dann liegt das Problem des "armen" Staates, der sich nicht leisten kann, seinen Beschäftigten anständige Gehälter zu zahlen im wesentlichen in drei Gründen: an einer Einnahmen- und Steuerpolitik, die die Reichen und das Kapital immer weniger an der Finanzierung staatlicher Aufgaben beteiligt; an zunehmender Privatisierung, die immer mehr private Abzockerei zulässt und der Politik Handlungs- und Steuerungsmöglichkeiten nimmt; an einer Ausgabenpolitik, die viel Geld für politische Prestigeprojekte, zur Sicherung privater Profite und anderen Blödsinn ausgibt. Alles drei lässt sich ändern! Dafür brauchen wir aber andere politische Mehrheitsverhältnisse und ein anderes soziales Kräfteverhältnis. Und um die zu bekommen brauchen wir nicht (nur) intelligente Tarifpolitik, sondern soziale Kämpfe mit dem Mut und der Entschlossenheit zu drastischen Eingriffen in die unternehmerische Freiheit.
Nehmen wir als konkretes Beispiel die Pflege:
Behinderte, aber genauso auch alte, pflegeabhängige Menschen brauchen bedarfsgerechte ambulante Assistenz. Die stationäre und die ambulante Pflege ist ohne Übertreibung für Tausende HamburgerInnen eine tägliche Katastrophe. Die bereits vollzogenen und die geplanten Privatisierungen im Gesundheitsbereich werden diese Situation noch verschärfen. Wir brauchen dringend ein großes, vor allem außerparlamentarisches Bündnis aus den pflegeabhängigen Menschen, den Beschäftigten in der Pflege, den Gewerkschaften, den großen Sozialverbänden und den übrigen Organisationen der behinderten und alten Menschen, mit dem gemeinsamen Ziel, dass die Gesellschaft endlich deutlich mehr Geld für die Pflege bereitstellen muss.