Frage an Gerhard Zickenheiner von Edgar F. bezüglich Umwelt
Sehr geehrter Herr Zickenheiner,
während z. Z. vielerorts über die Korrektheit der NOx-Grenzwerte gestritten wird, ist die Ermittlung der NOx-Messwerte im Augenblick kein Diskussionsthema.
In der dafür zugrunde liegenden Richtlinie "2008/50/EG vom 21.05.2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa" bestet eine "deutliche Unschärfe" und die Richtlinie lässt einen "erheblichen Spielraum bei der Wahl des Standortes der Probenahmestelle" zu. So darf z. B. die Probenahmestelle höchstens zehn Meter vom Fahrbahnrand entfernt sein. Sie kann aber auch nur einen Zentimeter davon entfernt stehen. Eine Änderung des Messwertes scheint doch da wahrscheinlich.
Daher meine diesbezüglichen Fragen an Sie:
Sind Ihnen Zahlen bekannt (z. B. aus engmaschigen Messungen innerhalb des zulässigen Messsektors - horizontale Richtungen und vertikale Richtung) wie sich Maximal- und Minimalwert in diesem Messektor prozentual unterscheiden können?
Welcher Messwert (Maximalwert, Medianwert, Mittelwert, Minimalwert oder willkürlicher Wert) soll dann herangezogen werden, um zu beurteilen, ob der Grenzwert von 40 µg NOx pro m³ Luft (im Jahresmittel) überschritten wird?
Welcher Messwert wird in Deutschland herangezogen?
Welcher Messwert wird in den anderen EU-Mitgliedstaaten herangezogen?
Ist mit dieser Auswahlmöglichkeit nicht der Willkür Tür und Tor geöffnet?
Halten Sie die Diskussion über die Korrektheit der Grenzwerte für angebracht, solange eine derartiges Streuband bei den Messwerten besteht?
Halten Sie bei einer nur geringfügigen Überschreitung des Grenzwertes Fahrverbote für angebracht, wenn die Möglichkeit besteht, dass an einem anderen zulässigen Standort der Probenahmestelle in dem Messsektor eine Unterschreitung des Grenzwertes besteht?
Besten dank im Voraus für die Beantwortung der Fragen.
Mit freundlichen Grüßen
E. F.
Sehr geehrter Herr F.,
haben Sie vielen Dank für Ihre Frage.
Der EU-Grenzwert für Stickoxide von 40 µg/m3 ist eher zu lasch als zu streng. NO2 in der Umgebungsluft ist bei den heute vorkommenden Konzentrationen gesundheitsschädlich. Diese weit anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnisse sind Grundlage geltender Gesetze. Dass jetzt die Aussetzung des Grenzwertes gefordert wird, ohne auch nur einen wissenschaftlich fundierten Gegenbeweis zu bringen, offenbart, dass es sich nur um ein Ablenkungsmanöver handelt.
Zu diesen Grenzwertempfehlungen kommen die Weltgesundheitsorganisation WHO in ihren Luftqualitätsrichtlinien von 2005. Die US-amerikanische Umweltbehörde EPA kam 2016 in einem mit mehr als 1600 wissenschaftlichen Studien belegten Bericht zu dem Ergebnis, dass NO2 bei den heute vorkommenden Konzentrationen gesundheitsschädlich ist. Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie, die stellt fest: „Eine weitere deutliche Reduktion der Luftschadstoffbelastung ist geboten und eine Absenkung der gesetzlichen Grenzwerte erforderlich.“ Die jetzt aufkommende Kritik aus Medizinerkreisen ist eine deutliche Minderheitenmeinung.
Der Grenzwert für Stickstoffdioxid (NO2) von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter (µg/m³) ist ein Vor-sorgewert und soll gesundheitliche Beeinträchtigungen durch eine dauerhafte Belastung mit dem Luftschadstoff vorbeugen. Es handelt sich um eine europarechtliche Vorgabe, die in allen EU-Staaten seit 2010 einzuhalten ist.
Der Grenzwert geht zurück auf eine Empfehlung der WHO (siehe etwa Air Quality Guidelines for Europe, Second Edition, 2000). Die damalige WHO-Empfehlung basierte auf nur wenigen verfügbaren Studien. Seitdem hat sich die Studienlage aber deutlich verbessert und die Hinweise sind sehr stark, dass der Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter nicht zu hoch ist. Im Gegenteil: Die Expert*innen der WHO kamen 2013 nach Überprüfung weiterer epidemiologischer Studien zu dem Ergebnis, dass mit gesundheitsrelevanten Wirkungen von Stickstoffdioxid bereits ab einer langfristigen durchschnittlichen Exposition von 20 Mikrogramm kalkuliert werden müsse. Sie empfehlen, darüber nachzudenken, den Grenzwert bei der nächsten Revision der WHO-Empfehlungen zu verschärfen. Die Umweltmedizinerin Barbara Hoffmann (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf), die an der noch bis 2020 laufenden Evaluierung der WHO-Empfehlungen mitarbeitet, rechnet damit, dass die WHO ihre Empfehlung für einen Grenzwert verschärfen wird.
Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung hat sich in seiner Stellungnahme zum Peer-Review 2018 einstimmig (also auch FDP und AfD) dafür ausgesprochen, dass beim Thema Saubere Luft alle WHO-Empfehlungen übernommen werden sollen.
Andere Länder haben schon einen strengeren Grenzwert: In Österreich gilt seit 2012 ein Grenzwert von 35 µg/m³. In der Schweiz gilt ein Jahresmittelwert von 30 µg/m³.
So zeigen etwa die Städte Wien und Zürich, dass es mit entsprechenden politischen Weichenstellungen möglich ist, diese Grenzwerte einzuhalten und für eine gute Lebensqualität in der Stadt zu sorgen. Wien setzt für saubere Luft in der Innenstadt vor allem auf einen hohen Anteil des Umweltverbunds. 73 Prozent der Strecken werden in Wien mit ÖPNV, Fahrrad oder zu Fuß zurückgelegt. Auch in Zürich konnte der Anteil der im Auto zurückgelegten Strecken von 40% im Jahr 2000 auf heute 25% gesenkt werden. Möglich machen das ein gut ausgebauter ÖPNV, eine konsequente Beschränkung der Parkplätze in der Stadt oder die Festlegung einer Anzahl von Autos, die maximal in der Stadt unterwegs sein darf.
Andere europäische Großstädte haben schon frühzeitig Fahrverbote für alte Dieselautos ausgesprochen oder regeln den Autoverkehr in den Innenstädten beispielsweise über City-Maut-Systeme. In Athen gibt es schon seit Jahrzehnten ein rotierendes Fahrverbot: An ungeraden Tagen dürfen nur Autos mit ungeraden Kennzeichen in die Stadt, an geraden Tagen umgekehrt. An Tagen mit akuten Luftverschmutzungsalarm wird die Fahrverbotszone noch ausgeweitet, für Verstöße sind hohe Bußgelder fällig. Metropolen wie Oslo und Paris reagieren zusätzlich zu bestehenden Verkehrsbeschränkungen mit temporären Fahrverboten bei Luftverschmutzungsalarm, um den EU-Grenzwert einhalten zu können. In Paris soll ab 2024 ein Fahrverbot für alle Diesel-PKW gelten, ab 2030 sollen dann gar keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr in Paris fahren dürfen.
Gerichtlich verhängte Fahrverbote für Diesel in einigen deutschen Städte sind nun die Quittung dafür, dass Bund, Länder und Kommunen seit Jahren die Verkehrswende und damit wirksame Maßnahmen zur Luftreinhaltung verschlafen.
Und lassen Sie mich zuletzt noch eines sagen: Niemand hat in den letzten drei Jahren mehr Vorschläge gemacht, um Fahrverbote zu verhindern, als wir Grüne. Unser Anliegen ist es, das Recht auf saubere Luft überall und für alle Menschen umzusetzen. Auch Kinder, Schwangere und Asthmatiker*innen sollten nirgendwo Angst davor haben, die Luft auf der Straße zu atmen. Fahrverbote sind nur die Konsequenz daraus, dass die Große Koalition und die Autoindustrie seit Jahren wirksame Maßnahmen verhindern und verschleppen.
Herzliche Grüße
Ihr Gerhard Zickenheiner